Ameisen-Königinnen klonen fremde Spezies – Forscher entdecken bizarren Trick
Ameisen-Königinnen erzeugen Hybride: Forscher entdeckten, dass sie Männchen einer fremden Spezies klonen und so ihre Kolonien sichern.

Eine in Europa weit verbreitete Ameisenart bricht ein grundlegendes Gesetz der Biologie: Ihre Königinnen können männliche Nachkommen einer völlig anderen Spezies hervorbringen. © Pexels
Normalerweise gilt im Ameisenstaat Ordnung bis ins kleinste Detail – jede Art bleibt unter sich. Doch bei den Iberischen Ernteameisen stoßen Forscher auf einen verblüffenden Ausnahmefall: Ihre Königinnen erschaffen nicht nur eigene Nachkommen, sondern sogar Männchen einer völlig anderen Spezies. Damit sichern sie das Überleben ihrer Kolonie. Forscher der University of Montpellier und der University of Lille haben dieses Phänomen untersucht und im Fachjournal Nature vorgestellt.
Sie prägten dafür einen neuen Begriff: „Xenoparität“. Gemeint ist die Fähigkeit von Weibchen, zwingend Individuen einer anderen Art zu produzieren, um ihre eigene Gemeinschaft am Leben zu halten.
Forscher belegen Hybrid-Arbeiterinnen
Das Team analysierte 390 Individuen aus fünf europäischen Ameisenarten. Besonders auffällig waren die Ergebnisse bei Messor ibericus. 164 Arbeiterinnen zeigten eine Heterozygosität von 0,797, also mehr als 15-mal höher als bei Königinnen derselben Art oder anderen untersuchten Spezies. Damit war klar: Diese Arbeiterinnen sind Hybride.

Die genetische Herkunft bestätigte den Befund. Die Mitochondrien stammten von M. ibericus, das Kern-Erbgut bestand jedoch je zur Hälfte aus M. ibericus und Messor structor. Ohne die Beteiligung von M. structor-Männchen können keine Arbeiterinnen entstehen.
Ameisen nutzen fremde Gene für ihre Kolonien
Besonders verblüffend war ein Fund auf Sizilien. Dort existieren zahlreiche Kolonien von M. ibericus, doch M. structor fehlt völlig. Dennoch leben dort Hybride. Die nächste bekannte Population von M. structor liegt über 1.000 Kilometer entfernt. Daraus folgerten die Forscher: Die Königinnen von M. ibericus können M. structor-Männchen selbst hervorbringen.
Ein Blick ins Detail:
- 132 untersuchte Männchen aus 26 Kolonien zeigten zwei Typen – 44 Prozent behaart (M. ibericus), 56 Prozent fast kahl (M. structor).
- Genetische Analysen bestätigten die klare Trennung: Beide Männchentypen entstanden in denselben Nestern.
Klonen als Strategie
Laborversuche machten den Mechanismus sichtbar. Von 286 Eiern und Larven aus fünf Kolonien enthielten 11,5 Prozent ausschließlich DNA von M. structor. Bei 16 isolierten Königinnen fanden Forscher nach 24 Stunden in 9 Prozent der Eier nur M. structor-Erbgut. Evolutionsbiologe an der Universität Kopenhagen Jacobus Boomsma erklärt:
Es ist ein absolut fantastisches, bizarr wirkendes System, das Dinge möglich macht, die fast unvorstellbar erscheinen.
Langzeitbeobachtungen unterstrichen das Ergebnis: In einer Kolonie entstanden innerhalb von 18 Monaten zwei adulte Männchen von M. structor und drei von M. ibericus. Eine andere Kolonie brachte nach 19 Monaten je ein Männchen beider Arten hervor.
Androgenese erklärt den Trick
Die Erklärung liegt in einem seltenen Fortpflanzungsmechanismus. Bei der Androgenese liefert ein Männchen das gesamte Kerngenom, während die Königin nur die Mitochondrien beisteuert. Auf diese Weise entstehen Klone des Männchens. Bei den Iberischen Ernteameisen betrifft dies sogar eine fremde Art.
Für die Kolonie bedeutet das: Sie kann unabhängig vom Vorkommen von M. structor bestehen. So existieren heute 69 mediterrane Populationen von M. ibericus ohne natürliche M. structor-Nester – und trotzdem mit stabilen Hybriden.
Domestizierte und wilde Linien entstehen
Die Forscher unterscheiden zwei Linien von M. structor-Männchen:
- Domestizierte Linie: fast identische Klone, häufig kahl, mit Mitochondrien von M. ibericus. In den Nestern von M. ibericus weit verbreitet.
- Wilde Linie: in eigenen M. structor-Kolonien, genetisch vielfältiger und behaarter.
Von 164 untersuchten Hybrid-Arbeiterinnen stammten 144 von domestizierten, 20 von wilden Männchen. Damit sind beide Zustände belegt: eine ältere Form, die auf natürlichen Kontakt beider Arten angewiesen war, und eine neuere, in der M. ibericus die Männchen von M. structor selbst produziert.

Ameisen verbinden zwei Arten in einer Kolonie
Die genetische Vielfalt der Klon-Linie ist gering, die Belastung durch schädliche Mutationen hoch. Dennoch erlaubt diese Strategie eine schnelle Ausbreitung von M. ibericus über das ursprüngliche Gebiet hinaus.
Evolutionsökologin Claudie Doums kommentiert die Forschungsergebnisse wie folgt: „Ameisen zwingen uns dazu, offen zu bleiben für unorthodoxe Fortpflanzungssysteme.“
Kurz zusammengefasst:
- Iberische Ernteameisen-Königinnen können nicht nur eigene Nachkommen zeugen, sondern auch Männchen der Art Messor structor klonen.
- Arbeiterinnen entstehen ausschließlich als Hybride aus beiden Spezies und sichern damit das Überleben der Kolonie.
- Forscher sprechen von „Xenoparität“ – einer seltenen Fortpflanzungsstrategie, bei der Weibchen Individuen einer fremden Art hervorbringen.
Übrigens: Manche Tiere überdauern Jahrhunderte, andere sterben nach Monaten, wir Menschen liegen irgendwo dazwischen – und die Gründe sind genetischen Ursprungs. Welche Genfamilien den Unterschied machen, mehr dazu in unserem Artikel.
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