Smarte Socken bringen bei Diabetes das Gefühl in die Füße zurück

Ein Schweizer Start-up hat Socken entwickelt, die bei Diabetes verlorene Empfindungen in den Füßen zurückbringen und Schmerzen lindern.

Smarte Socken bringen bei Diabetes das Gefühl in die Füße zurück

Die smarte Socke erweckt verlorenes Gefühl an der Fußsohle: Unsichtbare Sensoren messen den Druck beim Gehen, Elektroden aktivieren die Nerven. © Michel Büchel / ETH Zürich

Viele Menschen mit Diabetes kennen das Problem: Die Füße verlieren ihr Gefühl, jeder Schritt wird unsicher, Schmerzen begleiten den Alltag. Diese Nervenschäden – Fachleute sprechen von diabetischer Neuropathie – gehören zu den häufigsten und quälendsten Folgeerkrankungen der Zuckerkrankheit. Sie entstehen, wenn dauerhaft hohe Blutzuckerwerte die Nerven und Blutgefäße schädigen.

Das Ergebnis sind taube Zehen, Brennen, Kribbeln oder stechende Schmerzen. Manche Betroffene spüren Hitze, Kälte oder Druck kaum noch. Dadurch erkennen sie kleine Wunden oder Druckstellen zu spät – im schlimmsten Fall droht eine Amputation. Doch eine Erfindung aus Zürich gibt jetzt Anlass zur Hoffnung: Ein Spin-off der ETH Zürich hat Socken entwickelt, die verlorene Empfindungen zurückbringen und Schmerzen lindern sollen.

Wie Technik Nerven wieder fühlen lässt

Das Start-up Mynerva nennt seine Entwicklung „Leia“. Die Socke sieht unscheinbar aus, steckt aber voller Sensoren und Elektronik. Ihr Prinzip: winzige Drucksensoren erfassen beim Gehen, wie stark der Fuß belastet wird. Ein kleiner Computer wandelt diese Daten in elektrische Impulse um und leitet sie über feine Elektroden an die gesunden Nerven weiter. So werden geschädigte Nervenabschnitte umgangen – das Gehirn kann die Reize wieder wahrnehmen.

„Damit überspringen wir defekte Nerven und aktivieren die funktionierenden Bereiche“, erklärt Gründerin Greta Preatoni. Sie leitet das Unternehmen Mynerva, das aus der Forschung an der ETH Zürich hervorgegangen ist. Dort arbeitete sie zunächst an Beinprothesen, die Amputierten helfen, den Boden zu spüren. Dann stellte sie fest, dass Menschen mit Diabetes ähnliche Symptome haben – und dass dieselbe Technik auch ihnen helfen könnte.

Elektrische Signale lindern Schmerzen

Die leichten Stromimpulse tun nicht weh, im Gegenteil: Sie regen gesunde Nerven an und lösen im Körper chemische Prozesse aus, die Schmerzen dämpfen. Die Stimulation ahmt dabei die natürliche Kommunikation der Nerven nach. Eine integrierte Software mit künstlicher Intelligenz passt die Impulse ständig an – abhängig davon, ob jemand gerade geht, steht oder sitzt.

Für viele Patienten mit diabetischer Neuropathie könnte das gleich doppelt hilfreich sein. Denn Schmerzmittel lindern zwar Beschwerden, haben aber oft Nebenwirkungen oder verlieren mit der Zeit ihre Wirkung. „Viele Betroffene wünschen sich eine Lösung ohne Medikamente und Abhängigkeiten“, sagt Preatoni. Mit der smarten Socke könnten sie ihre Mobilität verbessern und Schmerzen auf natürliche Weise reduzieren.

Wie die Socke funktioniert

Der Aufbau ist einfach, aber technisch ausgefeilt. In die Fußsohle sind feine Drucksensoren eingenäht, die beim Gehen die Belastung jedes Schrittes messen. Über dünne Kabel gelangen die Signale an den Computer im Sockenschaft, der sie in elektrische Impulse umwandelt. Diese werden dann über Elektroden an die Haut abgegeben.

So entsteht ein direkter Kommunikationsweg zwischen den Füßen und dem Gehirn. Die elektrische Stimulation trainiert das Nervensystem und fördert die Ausschüttung körpereigener Botenstoffe, die Schmerzen unterdrücken. Gleichzeitig lernt das Gehirn, die Signale wieder korrekt zu interpretieren – ähnlich wie beim physiologischen Training nach einer Verletzung.

Ein Computer im Sockenschaft verarbeitet die Daten der Drucksensoren zu elektrischen Impulsen – so werden geschädigte Nerven gezielt umgangen. © Michel Büchel / ETH Zürich
Ein Computer im Sockenschaft verarbeitet die Daten der Drucksensoren zu elektrischen Impulsen – so werden geschädigte Nerven gezielt umgangen. © Michel Büchel / ETH Zürich

Vom Labor zur Anwendung

An der ETH Zürich begann die Forschung vor etwa fünf Jahren. Inzwischen hat Mynerva mehr als zehn Mitarbeiter und zahlreiche Prototypen entwickelt. Die ersten Modelle waren klobig und schwer, doch heute sieht Leia fast aus wie eine Sportsocke. Sie lässt sich waschen, ist bequem und funktioniert drahtlos über eine App.

Das Projekt wird durch das Förderprogramm Wyss Zurich unterstützt. Es hilft Start-ups, medizinische Innovationen vom Labor in die Praxis zu bringen. 2023 gewann Mynerva den Venture Award und erhielt damit Mittel für Patente und die Vorbereitung der US-Zulassung.

Neue Daten sollen zeigen, ob die Socke Nervenschäden wirklich heilen kann

Im Herbst startet eine Langzeitstudie, die prüfen soll, ob die smarte Socke nicht nur Schmerzen lindert, sondern auch Folgeerkrankungen wie Fußgeschwüre verhindern kann. Wissenschaftliche Hinweise deuten darauf hin, dass kontinuierliche elektrische Stimulation die Durchblutung verbessert und beschädigte Nerven sogar teilweise regenerieren kann.

„Es wäre ein Traum, wenn wir zeigen könnten, dass Leia die Nervenfunktion dauerhaft verbessert“, sagt Preatoni. Für sie ist das Projekt mehr als ein Start-up: Es ist eine Vision von einer Zukunft, in der Technik Menschen mit Diabetes zu mehr Lebensqualität verhilft.

Bei Diabetes sollen die smarten Socken das Gangbild stabilisieren, indem sie intakte Nerven gezielt anregen. © ETH Zürich via YouTube

Mynervas Ziele für die nächsten Jahre:

  • Abschluss der klinischen Tests bis Ende 2026
  • Markteinführung in den USA ab 2027
  • Danach Zulassung in Europa und dem Mittleren Osten
  • Erweiterung des Systems für weitere neurologische Erkrankungen

Die Chancen stehen gut: Die Kombination aus Alltagstauglichkeit, personalisierter Stimulation und wissenschaftlich belegter Wirksamkeit macht die Socke zu einem vielversprechenden Ansatz.

Kurz zusammengefasst:

  • Smarte Socken sollen helfen, den bei Diabetes typischen Gefühlsverlust in den Füßen zu verringern und das Gehen wieder sicherer zu machen.
  • Sie arbeiten mit elektrischen Signalen, die geschädigte Nerven umgehen und gesunde Bereiche aktivieren, wodurch Schmerzen deutlich sinken.
  • Forscher der ETH Zürich prüfen derzeit, ob die Technologie auch langfristig die Nervenfunktion verbessert und Folgeerkrankungen verhindern kann.

Übrigens: Während smarte Socken verlorenes Gefühl in den Füßen zurückbringen, könnte künstliche Intelligenz Diabetes künftig schon erkennen, bevor der Blutzucker auffällig wird. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Michel Büchel / ETH Zürich

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