Physik schlägt KI: Einfache Modelle sagen Temperaturen viel genauer voraus
Eine neue MIT-Studie zeigt: In der Klimavorhersage liefern einfache physikalische Modelle oft präzisere Ergebnisse als komplexe KI-Systeme.

Die natürliche Schwankung in Klimadaten erschwert es KI-Modellen, lokale Temperaturen und Niederschläge zuverlässig vorherzusagen. © Wikimedia
Extreme Wetterereignisse wie Dürren, Starkregen und Hitzewellen nehmen weltweit zu. Für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird es immer wichtiger, die Entwicklung des Klimas möglichst genau vorherzusagen. Viele Hoffnungen ruhen dabei auf KI, die mit riesigen Datenmengen arbeitet und komplexe Muster erkennen kann. Doch eine aktuelle Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) zeigt, dass die Erwartungen an KI in der Klimavorhersage nicht immer erfüllt werden – und einfache Ansätze mitunter überraschend im Vorteil sind.
Klimavorhersage – Einfache Modelle schlagen komplexe KI-Systeme
Die Forscher verglichen zwei Ansätze: klassische, physikbasierte Modelle und moderne KI-Systeme wie ClimaX oder CNN-LSTM. Während die KI-Modelle versuchen, aus riesigen Datenmengen Muster zu lernen – teilweise mit über 100 Millionen Einstellungsparametern –, arbeiten die klassischen Methoden mit festen physikalischen Regeln. Überraschend: Das einfache Modell Linear Pattern Scaling (LPS) schnitt in vielen Bereichen besser ab.
Besonders bei der Vorhersage von Temperaturen war LPS verlässlicher als die großen KI-Systeme. In drei von vier untersuchten Klimavariablen lieferte das klassische Modell die genaueren Ergebnisse. Nur bei der Berechnung der täglichen Temperaturunterschiede hatten die KI-Modelle einen kleinen Vorsprung.
Warum KI bei Regen oft scheitert
Niederschläge gelten als besonders schwer vorherzusagen, da sie stark von nichtlinearen Wetterprozessen abhängen. Theoretisch sollte KI hier Vorteile haben mit der Fähigkeit zur Verarbeitung vieler Daten und Entschlüsselung vielschichtiger Strukturen. Doch die Realität sah anders aus: In den ersten Tests lieferte das physikbasierte LPS-Modell bessere Resultate.
Der Grund liegt in der internen Klimavariabilität. Zufällige Wetterschwankungen, etwa durch El Niño oder La Niña, beeinflussen die Ergebnisse stark. KI-Modelle neigen dazu, diese Schwankungen zu „überlernen“ und passen ihre Prognosen zu sehr an zufällige Muster an.
Mehr Daten verändern die Ergebnisse
Die MIT-Forscher erweiterten die Analyse, indem sie 50 Klimasimulationen in ihre Berechnungen einbezogen – zuvor waren es nur drei. Das veränderte das Bild: Mit größeren Datenmengen konnten KI-Modelle beim lokalen Niederschlag knapp aufholen.
Für die Temperaturvorhersagen bleibt das einfache Modell jedoch klar überlegen. Björn Lütjens, Mitautor der Studie, fasst es so zusammen:
Große KI-Methoden sind verlockend, aber oft lösen sie kein völlig neues Problem. Es lohnt sich, zuerst einfache Lösungen zu testen.
Zahlen und Fakten im Überblick:
Aspekt | LPS-Modell | KI-Modelle (ClimaX/CNN-LSTM) |
---|---|---|
Parameteranzahl | 27.700 | bis zu 108 Mio. |
Temperaturprognosen | Sehr präzise | Weniger zuverlässig |
Niederschlagsprognosen | Gut bei kleinen Datensätzen | Vorteil erst bei großen Datenmengen |
Benchmark-Datensatz | ClimateBench v1.0 | ClimateBench v1.0 |
Rechenzeit | Sekunden bis Minuten | Tage bis Wochen |
Neue Maßstäbe für Klimasimulatoren
Bisherige Methoden zur Bewertung von Klimamodellen können die Ergebnisse verfälschen. Viele Benchmarks basierten auf zu kleinen Datensätzen, was die tatsächliche Leistung der Modelle verschleierte. Die neue Studie schlägt deshalb robustere Bewertungsverfahren vor.
- Bessere Vergleichbarkeit: Modelle lassen sich künftig objektiver und transparenter bewerten.
- Mehr Sicherheit: Vorhersagen werden verlässlicher, da die Grenzen der Modelle klarer erkennbar sind.
„Es ist verlockend, das neueste KI-Modell zu nutzen“, sagt Noelle Selin vom MIT. „Aber man muss die Grundlagen des Problems verstehen, um zuverlässige Vorhersagen zu treffen.“
KI und Physik: Gemeinsam statt gegeneinander
Die Forscher sehen die Zukunft in hybriden Modellen, die die Stärken beider Ansätze kombinieren:
- Physikbasierte Modelle bleiben die erste Wahl für Temperaturprognosen.
- KI-gestützte Systeme können bei Niederschlägen und Extremwetter zusätzliche Vorteile bringen.
- In der Praxis könnten beide Methoden zusammen genutzt werden, um Dürren, Überschwemmungen oder Hitzewellen präziser vorherzusagen.
Mehr Planungssicherheit für Politik und Wirtschaft
Die Ergebnisse der MIT-Studie sind nicht nur für die Forschung relevant. Sie betreffen auch politische Entscheidungsträger, die Klimaschutzmaßnahmen entwickeln und umsetzen müssen.
Bessere Modelle könnten helfen, gezieltere Maßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel:
- Reduktion von Treibhausgasen mit präziseren Emissionsszenarien
- Planung von Katastrophenschutz bei Starkregen oder Überschwemmungen
- Anpassung von Infrastrukturprojekten an zukünftige Klimarisiken
Genauere Klimaprognosen bringen mehr mehr Planungssicherheit, helfen, Risiken besser einzuschätzen und Ressourcen gezielter einzusetzen. Das gilt für den Katastrophenschutz ebenso wie für die Energieversorgung oder die Landwirtschaft. Wenn Modelle verlässlicher werden, lassen sich Schäden durch Extremwetterereignisse effektiver vermeiden oder zumindest deutlich reduzieren.
Kurz zusammengefasst:
- Eine neue MIT-Studie zeigt, dass einfache, physikbasierte Modelle bei der Klimavorhersage oft genauer arbeiten als komplexe KI-Systeme mit Millionen Parametern.
- Bei Regenprognosen erzielen KI-Modelle nur dann Vorteile, wenn sehr große Datensätze genutzt werden – bei kleineren Datensätzen liegt das physikbasierte LPS-Modell vorne.
- Die Forscher empfehlen, KI und physikbasierte Methoden zu kombinieren, um Extremwetter wie Dürren, Starkregen oder Hitzewellen zuverlässiger vorherzusagen.
Übrigens: Das neue 9-Kilometer-Modell des Alfred-Wegener-Instituts macht sichtbar, wo Hitzewellen, Starkregen und Stürme besonders heftig ausfallen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Unidentified photographer/NOAA National Severe Storms Laboratory via Wikimedia unter Public Domain