Krankheiten per Express-Flug – So gefährden blinde, tierische Passagiere die globale Gesundheit
Blinde Passagiere wie Ratten reisen unbemerkt per Flugzeug und können gefährliche Krankheitserreger in kürzester Zeit über Kontinente verbreiten.

Von Dubai nach Berlin in 6:30 Stunden, New York nach Kairo in 11 Stunden und von Paris nach São Paulo in 11:30 Stunden – täglich starten unzählige Flugverbindungen und auf jedem Flug kann sich ein blinder Passagier einschleichen. © Unsplash
Täglich heben tausende Flugzeuge ab, Millionen Container wechseln ihre Routen über die Weltmeere. Mit Menschen und Waren reisen auch Tiere unbeabsichtigt mit – als blinde Passagiere. Gerade Ratten zählen zu den erfolgreichsten Mitreisenden der Menschheitsgeschichte. Sie können gefährliche Krankheitserreger in sich tragen und unbemerkt über Kontinente verbreiten.
Für die Forschung ergeben sich daraus aber auch neue Chancen, globale Gesundheitsrisiken besser zu verstehen. So brachte eine Ratte, die im Jahr 2017 an Bord eines Linienflugs von Miami nach Berlin entdeckt wurde, für Forscher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) wichtige neue Erkenntnisse. Die Experten nutzen den seltenen Fund, um das Tier als möglichen Überträger von Infektionen in einer Studie zu untersuchen.
Forscher nutzen modernste Screening-Verfahren
Es handelte sich um eine Hausratte (Rattus rattus). Sie wurde seziert, Proben aus Herz, Lunge, Gehirn, Leber, Milz, Niere und Darm gesichert. So konnte ihr gesamtes Erregerspektrum geprüft werden. Die Forscher wollten vor allem klären, ob Passagiere oder Crew einem Risiko ausgesetzt waren und welche Lehren sich aus einem solchen Vorfall für die Zukunft ziehen lassen. Für die Untersuchung setzten die Experten auf eine breite Palette an Methoden:
- klassische Bakterienkulturen
- Massenspektrometrie
- Hochdurchsatz-Sequenzierung mit Millionen von DNA-Reads
- PCR- und RT-PCR-Analysen
- serologische Tests mit über 20 Zielerregern
Die Sequenzierungen lieferten bis zu 9,15 Millionen DNA-Reads pro Probe, von denen über 99 Prozent von hoher Qualität waren. Damit entstand eine der umfassendsten Analysen, die je an einer blinden Passagier-Ratte durchgeführt wurden.
Viele Bakterien, ein besonderer Keim
Nachgewiesen wurden acht Bakterienarten, darunter Lactobacillus, Enterobacter cloacae und Klebsiella aerogenes. Auffällig war der Fund von Staphylococcus aureus. Zusätzlich fanden sich zwei Pilze, Rhodotorula mucilaginosa und Cutaneotrichosporon mucoides. Andere Keime wie Acinetobacter tauchten nur in den Sequenzierungen auf.
Besonders interessant war ein Staphylococcus-aureus-Stamm, der in Nase und Darm der Ratte vorkam. „Das Überraschende war nicht, was wir nicht gefunden haben, sondern was wir fanden: einen Staphylococcus aureus-Stamm, der fast identisch mit menschlichen Varianten ist. Das zeigt, dass Ratten unsere Erreger aufnehmen und möglicherweise zurückgeben können“, sagte Prof. Rainer Ulrich vom DZIF.
Ratten als Reservoir: Menschliche Keime und neu entdeckte Viren
Die genetische Untersuchung ergab: Das Staphylococcus-Isolat war zu 99,93 Prozent identisch mit humanen Stämmen aus Europa, den USA und Australien. Solche Zahlen machen klar, wie eng Erreger zwischen Mensch und Tier zirkulieren. Die Bakteriengenome umfassten 2,74 Millionen Basenpaare und trugen zusätzlich ein Plasmid mit über 41.000 Basenpaaren. Für die Forschung ist das ein direkter Hinweis darauf, dass Ratten menschliche Keime nicht nur aufnehmen, sondern auch als Reservoir dienen können.

Neben den Bakterien stießen die Fachleute auch auf vier bisher unbekannte Virensegmente. Diese Picobirnaviren hatten Längen zwischen 1.630 und 2.773 Basenpaaren. Sie ordnen sich in eine Genogruppe ein, die schon bei Ratten in China oder bei Kaninchen beschrieben wurde. Ein Vergleich mit Ratten aus Berlin zeigte eine andere genetische Einordnung. Dort ähnelten sie eher Viren, die zuvor bei Schweinen in den USA identifiziert wurden.
Keine akute Gefahr für Passagiere
Die Forscher geben Entwarnung: Wichtige Zoonose-Erreger wie Leptospiren, Hantaviren oder das Ratten-Hepatitis-E-Virus wurden nicht entdeckt. Auch serologische Tests blieben negativ. Fluoreszenzwerte lagen weit unterhalb der Nachweisgrenze. Für die Passagiere dieses Fluges bestand damit kein Risiko.
Der Vorfall zeigt jedoch, wie schnell Tiere heute durch den Flugverkehr Kontinente überwinden. Mit solchen Sprüngen über drei Kontinente innerhalb eines Tages steigt das Risiko, dass Krankheitserreger unerkannt reisen. Ulrich warnt:
Ratten sind wahre Weltenbummler. Wo immer Menschen reisen oder Waren transportieren, können Ratten folgen – und ihre Mikroben gleich mitbringen.
Forscher entwerfen Fahrplan gegen versteckte Erreger
Blinde Passagiere bleiben nicht nur ein hygienisches Problem, sondern können auch Teil globaler Infektionsketten sein. Flughäfen, Airlines und Gesundheitsbehörden brauchen feste Abläufe, damit im Ernstfall keine Zeit verloren geht. So lassen sich Risiken eindämmen, bevor sie sich über Länder und Kontinente hinweg ausbreiten. Deshalb entwickelte das Team erstmals einen klaren Ablauf für ähnliche Fälle: Einfangen, Isolieren, Desinfektion und ein standardisiertes Screening in Hochsicherheitslaboren. Für Behörden und Airlines bedeutet das: Im Ernstfall können sofort Maßnahmen wie Kontaktverfolgung und gezielte Hygieneprotokolle starten.
Die Forscher sehen Ratten zudem als wertvolle Indikatoren für den Zustand von Ökosystemen. „Dies war ein Weckruf. Er zeigte, wie verletzlich unsere vernetzte Welt gegenüber versteckten Erregern ist, aber auch, dass die Wissenschaft praktische Lösungen bereitstellen kann“, so Ulrich.
Kurz zusammengefasst:
- Ratten reisen seit Jahrhunderten als blinde Passagiere mit Schiffen und Flugzeugen und können dadurch Krankheitserreger unbemerkt über Kontinente verbreiten – das macht sie zu einem globalen Gesundheitsrisiko.
- Eine Untersuchung am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung ergab bei einer Flugzeugratte aus dem Jahr 2017 acht Bakterienarten, zwei Pilze und einen Staphylococcus-aureus-Stamm, der zu 99,93 Prozent mit menschlichen Varianten identisch war.
- Hochgefährliche Erreger wurden zwar nicht gefunden, doch der Vorfall führte zu einem klaren Ablaufplan: Tiere einfangen, isolieren, Flugzeuge desinfizieren und systematisch untersuchen, um Infektionsketten künftig sofort unterbrechen zu können.
Übrigens: Ratten spielten einst eine Schlüsselrolle bei Pandemien – heute sind es Tierseuchen wie Vogelgrippe oder Schweinepest, die Forscher in Alarmbereitschaft versetzen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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