Krebszellen umerziehen statt zerstören – Forscher entwickeln radikal neue Therapieansätze
Statt Krebszellen zu töten, wollen Forscher sie umprogrammieren: Studien zeigen, wie sie sich in ungefährliche Zellen verwandeln lassen.

Eine Krebszelle verliert ihre Aggressivität: Forscher zeigen, wie sie sich gezielt in Fett-, Nerven- oder Immunzellen umwandeln lässt. © DALL-E
Im Behandlungszimmer beginnt der Kampf oft mit einem Schock: Diagnose Krebs. Es folgt der Plan, die Krankheit mit allen verfügbaren Mitteln zu bekämpfen – mit Operationen, Chemotherapie oder Bestrahlung. Ziel ist stets, jede einzelne Krebszelle im Körper zu zerstören. Doch dieser Feldzug ist nicht ohne Risiko: Manche Tumoren schlagen zurück, wachsen trotz Therapie weiter, entwickeln Resistenzen – oder kommen Jahre später wieder.
Doch was wäre, wenn man Krebszellen nicht länger vernichten müsste? Wenn man sie stattdessen davon überzeugen könnte, sich wieder wie gesunde Zellen zu verhalten? An dieser Idee arbeiten derzeit mehrere Forschungsteams weltweit, wie New Scientist berichtet. Das Ziel: Tumorzellen sollen ihre gefährliche Identität ablegen – und sich in harmlose Zelltypen wie Fett- oder Nervenzellen verwandeln.
Umprogrammieren statt vernichten – Wenn Krebszellen ihre Aggressivität verlieren
Den Ausgangspunkt lieferte ein überraschender Versuch an der University of California in Los Angeles. Dort untersuchte ein Team um die Biologin Ling He Tumorzellen aus einem besonders aggressiven Hirntumor, dem Glioblastom. Diese Krebsform ist schwer behandelbar und hat eine Fünf-Jahres-Überlebensrate von nur fünf Prozent.
Im Labor hatte man die Tumorzellen mit einem bestimmten Signalstoff behandelt – und plötzlich sahen sie ganz anders aus. Einige nahmen die Form von Nervenzellen an, andere erinnerten an Immunzellen. „Ich war wirklich begeistert“, sagte Ling He laut dem Magazin. Die Zellen hatten offenbar begonnen, sich zu verändern – ganz ohne Chemotherapie.
Forskolin als möglicher Helfer
Ausgelöst wurde diese Reaktion durch ein Molekül namens cAMP. Es spielt im Körper eine Rolle bei der Zellkommunikation und wird in der Stammzellforschung genutzt, um Zellen in Nervenzellen zu verwandeln. Da cAMP als Medikament ungeeignet ist, verwendeten die Forscher stattdessen den Naturstoff Forskolin, der denselben Signalweg aktivieren kann.
In Versuchen mit Mäusen zeigte sich ein erstaunlicher Effekt: Tiere mit Hirntumoren, die Forskolin zusätzlich zur Strahlentherapie erhielten, lebten etwa dreimal so lange wie unbehandelte Tiere. „Wir waren überrascht, wie stark der Effekt war“, sagte He.
Auch Brustkrebszellen verlieren ihre Gefahr
Ein ganz anderer Versuch gelang an der Universität Basel. Dort konnte ein Forschungsteam zeigen, dass sich menschliche Brustkrebszellen im Labor in reife Fettzellen verwandeln lassen. Diese veränderten Zellen waren nicht mehr bösartig – und konnten sich auch nicht mehr teilen.
Auch hier wurden gezielt biologische Signalwege aktiviert, die in der natürlichen Wundheilung oder der embryonalen Entwicklung eine Rolle spielen. Die Hoffnung: Wenn Krebszellen umlernen können, könnte man sie vielleicht dauerhaft entwaffnen.
Zwei Beispiele aus dem Labor – doch die Idee ist nicht neu
Schon in den 1980er-Jahren behandelten Ärzte in China eine besonders aggressive Form von Leukämie (APL) mit einer Kombination aus Retinsäure (einem Vitamin-A-Derivat) und Arsenoxid. Auch hier ging es nicht darum, die Krebszellen zu töten – sondern sie zur Reifung zu zwingen. Die Behandlung gilt heute als Standard und kann bestimmte Formen von Blutkrebs in vielen Fällen vollständig zurückdrängen.
Diese Prinzipien stehen heute wieder im Fokus. Viele Tumorzellen haben ein hohes Maß an Plastizität – das heißt, sie können ihre Identität verändern, wenn man sie dazu bringt.
Krebszellen umprogrammieren – ein radikal anderer Weg
Der klassische Ansatz der Krebsbehandlung basiert auf Zerstörung. Doch das hat Folgen:
- Krebszellen können Resistenzen gegen Chemotherapie entwickeln.
- Gesunde Zellen werden oft ebenfalls geschädigt.
- Rückfälle sind häufig, vor allem bei aggressiven Tumoren wie Glioblastomen.
Die Idee, Krebszellen umzuprogrammieren, setzt auf ein anderes Prinzip: Verwandlung statt Vernichtung. Das könnte Therapien künftig verträglicher und nachhaltiger machen – zumindest in Kombination mit klassischen Methoden wie Bestrahlung oder Operation.
Die Umgebung beeinflusst das Verhalten von Krebszellen
Nicht nur Medikamente spielen eine Rolle – auch das Umfeld von Tumorzellen scheint wichtig. Der Forscher Mariano Bizzarri von der Universität Sapienza in Rom untersucht, wie sich Krebszellen durch biologische Signalstoffe aus ihrer Umgebung verändern lassen. In Laborexperimenten konnten bestimmte Moleküle aus Fisch-Embryonen das bösartige Verhalten von Krebszellen abschwächen.
Auch hier lautet der Gedanke: Wenn man die richtigen Signale gibt, kann man das Wachstum vielleicht umlenken – ohne radikale Eingriffe.
Simulationen zeigen mögliche Therapiekombinationen
Wie man Krebszellen gezielt umleiten könnte, berechnet inzwischen sogar ein Computerprogramm. Das Modell namens cSTAR wurde am University College Dublin entwickelt und erstellt digitale Zwillinge von Krebszellen. Diese virtuellen Modelle zeigen, wie bestimmte Wirkstoffe auf die Zellumgebung wirken – und welche Kombinationen sie in harmlose Zustände bringen könnten.
In ersten Tests konnten Neuroblastom-Zellen so in gutartige Zelltypen überführt werden. Das Modell erlaubt auch Vorhersagen über mögliche Resistenzbildungen – ein wichtiger Schritt hin zu personalisierten Therapien.
Forschung steht noch am Anfang – doch die Idee wächst
Noch gibt es kein zugelassenes Medikament, das Tumorzellen gezielt in Fett-, Nerven- oder Immunzellen verwandelt. Substanzen wie Forskolin gelten als Nahrungsergänzungsmittel und lassen sich nicht patentieren – das schreckt viele Pharmafirmen ab.
Doch die bisherigen Versuche zeigen: Die biologische Plastizität von Krebszellen ist größer als lange gedacht. Wenn es gelingt, diesen Weg kontrolliert zu nutzen, könnte daraus ein neuer Ansatz in der Onkologie entstehen.
Was sich durch den neuen Ansatz verändern könnte
Die Idee, Krebszellen umzuprogrammieren, birgt großes Potenzial:
- Schonendere Therapien: Weniger Nebenwirkungen als klassische Chemotherapie
- Weniger Rückfälle: Keine Selektion widerstandsfähiger Zelllinien
- Neue Optionen: Vor allem bei Tumoren, die schlecht auf herkömmliche Therapien ansprechen
Ob und wann dieser Ansatz Einzug in die Klinik hält, ist offen. Doch er zeigt, wie sich Krebsmedizin in den kommenden Jahren verändern könnte – nicht mit noch stärkeren Waffen, sondern mit gezielter Zellkommunikation.
Kurz zusammengefasst:
- Forscher entwickeln neue Strategien, mit denen sich Krebszellen gezielt umprogrammieren und in harmlose Zelltypen wie Fett-, Nerven- oder Immunzellen verwandeln lassen.
- In ersten Versuchen gelang dies bei aggressiven Tumorarten wie Glioblastomen und Brustkrebs, etwa mithilfe des Naturstoffs Forskolin.
- Der Therapieansatz könnte Nebenwirkungen verringern und Rückfälle verhindern, befindet sich aber noch in der präklinischen Erprobung.
Übrigens: Nicht nur Forscher versuchen, Krebszellen umzuprogrammieren – auch Bakterien und Viren könnten in Zukunft als therapeutisches Duo eingesetzt werden. Ein Team der Columbia University hat gezeigt, dass Tumore bei Mäusen vollständig verschwinden, wenn Salmonellen ein verstecktes Virus direkt in das Krebsgewebe schleusen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E