Long-Covid, Parkinson und Co.: Neue Stammzelltherapie könnte Geruchssinn wiederherstellen
Ein neues 3D-Modell der Tufts University zeigt, wie bislang unterschätzte Stammzellen zur Regeneration des Geruchssinns beitragen können.

Bei Geruchsverlust, etwa nach COVID-19 oder im Alter, bleibt dieser Sinn oft langfristig defekt. Forscher entdeckten nun eine aktive Nische, in der neue Riechzellen entstehen können. © Pexels
Plötzlich riecht der Kaffee nach nichts mehr. Parfüm verliert seinen Duft. Ein gutes Essen macht keinen Appetit. Millionen Menschen kennen dieses Gefühl – nach einer Corona-Infektion, im Alter oder durch chronische Erkrankungen. Der verlorene Geruchssinn raubt nicht nur Genuss, sondern auch Lebensqualität. Forscher der Tufts University in Boston haben nun ein Modell entwickelt, das den Weg zu neuen Therapien ebnen könnte. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im Fachjournal Cell Reports Methods.
Die Wissenschaftler arbeiten mit Zellen aus der Nase von Mäusen. Aus diesen entwickelten sie sogenannte Organoide, winzige Gewebestrukturen, die das Riechgewebe nachbilden. In diesem System entdeckten sie: Eine bestimmte Stammzellart, lange für „inaktiv“ gehalten, übernimmt offenbar eine Schlüsselrolle bei der Erneuerung der Riechzellen.
3D-Modell simuliert Zellprozesse
Im Inneren der Nase liegt das sogenannte Riechepithel. Es beherbergt Nervenzellen, die Gerüche wahrnehmen. Diese Zellen sind empfindlich: Viren, Schadstoffe oder schlicht das Alter können sie beschädigen. Normalerweise ersetzt der Körper die verlorenen Zellen laufend. Doch bei vielen Betroffenen funktioniert das irgendwann nicht mehr.
„Wir wollten verstehen, warum dieser Prozess gestört wird“, sagt Studienleiter Brian Lin. Das neue 3D-Modell simuliert genau diese Zellbildung im Labor. So konnten die Forscher beobachten, wie zwei Stammzelltypen zusammenarbeiten: die horizontalen Basalzellen (HBCs) und die globosen Basalzellen (GBCs). Besonders überraschend: Die als inaktiv geltenden HBCs übernehmen offenbar eine unterstützende Funktion bei der Bildung neuer Riechzellen.
Stammzellen aktivieren und gezielt fördern
Im Labor zeigten sich klare Unterschiede. Wenn die HBCs aus dem System entfernt wurden, bildeten sich deutlich weniger neue Nervenzellen. „Diese Zellen scheinen als eine Art Nische zu fungieren, in der sich neue Geruchszellen entwickeln können“, erklärt Lin. Entscheidend sei dabei ein Eiweiß namens KRT5, es markiert genau jene HBCs, die bei der Zellneubildung besonders aktiv sind.

Die Erkenntnis hat enorme Relevanz. Denn bisherige Therapien bei Geruchsverlust, etwa Riechtraining oder Kortison, greifen oft nicht. Wer nach COVID-19 dauerhaft nichts riecht, hat bisher kaum medizinische Optionen. Das könnte sich ändern, wenn es gelingt, genau diese aktiven Stammzellen zu stimulieren.
Alter mindert Zellkraft
Ein weiterer Befund gibt zu denken: Bei älteren Mäusen war die Fähigkeit zur Bildung neuer Riechzellen deutlich schwächer. Offenbar schrumpft mit dem Alter die Zahl der aktiven GBCs. Damit würde eine zentrale Zellquelle versiegen und der Körper kann verloren gegangene Riechzellen nicht mehr ersetzen.
Diese Erkenntnis deckt sich mit Erfahrungsberichten vieler Menschen. Der Geruchssinn verschlechtert sich schleichend mit den Jahren. Und mit ihm oft das Geschmacksempfinden. Das Modell könnte nun helfen, diese Entwicklung besser zu verstehen und gezielt aufzuhalten.
Modell erleichtert Forschung auch mit kleinem Budget
Besonders hilfreich: Das entwickelte Modell ist einfach nachzubauen. Die federführende Forscherin Juliana Gutschow Gameiro achtete gezielt darauf, dass auch Labore mit wenig Geld oder Ausstattung davon profitieren können. Denn mit Long-COVID, Parkinson und anderen Erkrankungen ist das Interesse an der Riechforschung stark gestiegen.
Der einfache Zugang könnte dazu führen, dass künftig mehr Teams weltweit an Therapien gegen Geruchsverlust arbeiten. Für viele Betroffene wäre das ein Lichtblick. Denn wer dauerhaft nichts riecht, leidet oft auch psychisch, durch soziale Isolation, Appetitlosigkeit oder die ständige Angst, Gefahrensignale wie Rauch oder verdorbenes Essen zu übersehen.
Perspektiven für Millionen mit vermindertem Geruchssinn
Langfristig will das Team menschliches Riechgewebe im Labor züchten. Ein solcher Schritt könnte die Entwicklung neuer Medikamente beschleunigen. „Wir hoffen, dass wir damit eines Tages Behandlungen testen können, ohne dafür aufwendig menschliches Gewebe gewinnen zu müssen“, so Lin.
Aktuell sei es extrem aufwendig, menschliche Riechzellen zu isolieren. Der Eingriff sei unangenehm und liefere oft nur eine Zellmischung, die sich kaum analysieren lässt. Das Modell mit Mauszellen kann hier als erster Baustein dienen, mit dem klaren Ziel, den Geruchssinn von Millionen Betroffenen zu retten.
Kurz zusammengefasst:
- Ein Forschungsteam der Tufts University hat ein einfaches 3D-Modell entwickelt, das zeigt, wie Stammzellen in der Nase den Geruchssinn regenerieren.
- Besonders die bislang als inaktiv geltenden horizontalen Basalzellen (HBCs) bilden eine aktive Nische für neue Riechzellen.
- Das Modell könnte helfen, neue Therapien für Menschen mit Geruchsverlust nach COVID-19, im Alter oder bei neurologischen Erkrankungen zu entwickeln.
Übrigens: Die Biologie des Geruchssinns gilt bis heute als eines der rätselhaftesten Felder der Sinnesforschung. Künstliche Intelligenz könnte nun dabei helfen, Düfte digital zu entschlüsseln und sogar Krankheiten zu erkennen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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