Gefährliche Hitzekuppel programmiert schon bei Babys im Bauch Verhaltensprobleme

Städtische Hitzekuppel belastet schon ungeborene Kinder: Veränderte Hormone in der Schwangerschaft erhöhen das Risiko für Verhaltensprobleme.

Hitzekuppel: Ungeborene Kinder entwickeln Verhaltensprobleme

Ein Hitzeschleier über den Städten: Asphalt, Beton und Abgase speichern Wärme – für ungeborene Kinder kann die städtische Hitzekuppel gefährlich werden. © Pexels

Sommerhitze in den Städten ist längst mehr als ein drückendes Gefühl. Wenn Asphalt, Beton und Abgase die Luft aufheizen, entsteht ein Hitzeschleier, den Forscher „urban heat dome“ nennen – eine Hitzekuppel über den Städten. Für Schwangere und ihre ungeborenen Kinder ist das besonders gefährlich. Neue Daten zeigen, dass diese Kombination aus Hitze und Luftverschmutzung schon im Mutterleib Spuren hinterlässt: Kinder entwickeln häufiger emotionale und soziale Probleme.

Untersucht wurden 256 Kinder aus New York, geboren zwischen 2009 und 2014. Alle wuchsen in Stadtteilen auf, in denen Autos, Industrie und enge Bebauung für schlechte Luft sorgen. Die Forscher begleiteten sie über mehrere Jahre, maßen Hormonwerte und beobachteten ihr Verhalten im Vorschulalter im Alter von vier bis sechs Jahren.

Hitzekuppel programmiert schon vor der Geburt die Stressreaktionen von Kindern

Das Ergebnis: Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Hitzeperioden und schlechte Luft gleichzeitig erlebten, zeigten später häufiger Ängste, Depressionen oder Aggressionen. „Wir sehen, dass extreme Hitze und Luftverschmutzung im Grunde die Stressreaktionen von Kindern programmieren, noch bevor sie geboren sind“, erklärt Studienleiterin Yoko Nomura.

Der Zusammenhang zeigte sich vor allem im ersten Drittel der Schwangerschaft. Schon kurze Phasen mit hohen Temperaturen reichten aus, wenn die Luft gleichzeitig stark verschmutzt war. Die Forscher stellten fest: Der Spiegel des Hormons Progesteron war bei betroffenen Kindern verändert – messbar in den Haaren im Alter von drei Jahren.

Progesteron als biologischer Schalter

Progesteron gilt als Schlüsselhormon für die Gehirnentwicklung. Es sorgt für den Aufbau von Nervenzellen und schützt das kindliche Gehirn. Wird dieser Prozess in den ersten Wochen gestört, können dauerhafte Veränderungen entstehen. „Frühe Umweltbelastungen, insbesondere im ersten Trimester, können biologische Systeme dauerhaft programmieren“, so Nomura.

In stark verschmutzten Stadtteilen war der Wert im ersten Schwangerschaftsdrittel deutlich erhöht. Kinder mit erhöhtem Progesteron hatten im Alter von fünf Jahren häufiger Ängste, Depressionen oder aggressives Verhalten. Bei Kindern, deren Mütter während der Hitzewellen stark belastet waren, traten häufiger psychische Auffälligkeiten auf. Dazu zählten:

  • erhöhte Angststörungen
  • depressive Verstimmungen
  • Hyperaktivität
  • Probleme bei der sozialen Anpassung

Diese Auffälligkeiten zeigten sich erst Jahre nach der Geburt. Die Grundlage dafür entsteht aber offenbar schon im Mutterleib – lange bevor Schule oder Umfeld eine Rolle spielen.

Klimawandel verschärft die Risiken

Die Ergebnisse kommen nicht zufällig jetzt. Im Jahr 2023 gab es weltweit im Schnitt 13,8 Tage mit Hitzewellen – ein Rekordwert. Besonders Städte geraten dabei unter Druck: Häuser speichern Wärme, Abgase verstärken die Belastung. So entsteht eine städtische Hitzekuppel, die kaum noch Abkühlung zulässt.

„Die Ergebnisse legen nahe, dass Luftverschmutzung die Wirkung von Hitze auf das sich entwickelnde biologische System verstärkt“, so Nomura. Für Millionen Menschen in dicht besiedelten Ballungsräumen bedeutet das, dass schon die Schwangerschaft zur entscheidenden Belastungsprobe wird.

Ängste und Aggressionen wirken bis ins Klassenzimmer

Verhaltensprobleme im frühen Kindesalter sind mehr als eine Phase. Sie können Lernschwierigkeiten auslösen und ganze Familien belasten. Kinder mit starker Angst oder Aggression haben es in der Schule schwerer, brauchen häufiger Unterstützung und Therapien.

„Als Kinderarzt sehe ich diese Probleme regelmäßig in meiner Praxis. Diese Forschung hilft uns zu verstehen, dass einige Ursachen schon vor der Geburt liegen“, sagt Perry Sheffield vom Mount Sinai Krankenhaus. Damit steigen auch Kosten für das Gesundheits- und Bildungssystem – mit mehr psychologischer Betreuung und schulischer Förderung.

Wer besonders gefährdet ist

Nicht alle Familien sind gleichermaßen betroffen. Besonders riskant ist die Lage für Menschen mit geringem Einkommen. Sie wohnen häufiger in dicht bebauten Stadtteilen mit viel Verkehr, wenig Grünflächen und schlechter Luftqualität. Gleichzeitig fehlen dort kühle Rückzugsorte oder Klimaanlagen.

„Diese Erkenntnisse bieten Ansatzpunkte für gezielte Interventionen zum Schutz besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen“, heißt es in der Studie. Das betrifft nicht nur New York, sondern auch viele europäische Städte. Ob Berlin, Paris oder Madrid – überall gibt es Viertel, in denen Hitze und Luftbelastung zusammenkommen.

Mehr Grün, saubere Luft und kühle Räume senken das Risiko

Die Autoren fordern Politik und Medizin zum Handeln auf. Schon kleine Verbesserungen könnten die Risiken mindern. Dazu zählen:

  • mehr Grünflächen, die Schatten spenden und Luft filtern
  • Kühlräume in Städten, in denen sich Schwangere aufhalten können
  • strengere Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide
  • gezielte Aufklärung in gynäkologischen Praxen

„Das pränatale Zeitfenster ist entscheidend. Hier können Maßnahmen besonders nachhaltig wirken“, erklärt Neuropsychologin und Co-Autorin der Studie Veronica Hinton.

Kurz zusammengefasst:

  • In Städten kann die Hitzekuppel mit schlechter Luft schon während der Schwangerschaft den Hormonhaushalt von Kindern verändern – vor allem im ersten Trimester.
  • Das Hormon Progesteron spielt dabei eine Schlüsselrolle: veränderte Werte stehen im Zusammenhang mit Ängsten, Depressionen und Aggressionen im Vorschulalter.
  • Besonders Familien in stark belasteten Stadtteilen sind gefährdet – gezielte Maßnahmen wie mehr Grünflächen, bessere Luft und Hitzeschutz können Risiken mindern.

Übrigens: Forscher haben einen neuen Beton entwickelt, der Hitze reflektiert und Häuser um bis zu 5 °C kühler hält. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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