Alzheimer: Bislang unbekannter Zelltyp erklärt frühen Verlust der Orientierung
Alzheimer zerstört früh das Navigationssystem im Gehirn. Forscher haben nun einen Zelltyp entdeckt, der erklären könnte, warum Patienten die Orientierung verlieren.

Forscher der University of Michigan haben Nervenzellen im retrosplenialen Kortex entdeckt, die gezielt für Orientierung zuständig sind – und bei Alzheimer früh ausfallen. © Unsplash
Orientierungslosigkeit gehört zu den ersten Anzeichen von Alzheimer. Schon in frühen Krankheitsstadien fällt es Betroffenen schwer, den Weg nach Hause oder die richtige Richtung in vertrauter Umgebung einzuschätzen. Ein Team der University of Michigan beschreibt nun einen bislang unbekannten Zelltyp im Gehirn, der diese Fähigkeit steuert. Werden die sogenannten LR-Zellen geschädigt, verliert das innere Navigationssystem des Gehirns seine Stabilität.
LR-Zellen steuern den inneren Kompass
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht ein bisher unbekannter Zelltyp, den die Forscher LR-Zellen nennen – kurz für „low rheobase“, also besonders leicht erregbare Nervenzellen. Sie sitzen ausschließlich im retrosplenialen Kortex, einem Bereich im hinteren Teil des Gehirns, der bei Alzheimer besonders früh geschädigt wird.
Die Aufgabe der LR-Zellen: Sie berechnen die Blickrichtung auf Grundlage der Kopfbewegung – egal ob ein Mensch steht, geht oder sitzt. Dabei blenden sie Störsignale aus und bleiben stabil, auch wenn im restlichen Gehirn hohe Aktivität herrscht.
Die Eigenschaften der LR-Zellen machen sie einzigartig:
- Sie reagieren nicht auf das Neurotransmitter-Signal Acetylcholin, das sonst für Gedächtnis und Aufmerksamkeit wichtig ist.
- Sie feuern nicht dauerhaft, sondern verarbeiten gezielt Bewegungsinformationen.
- Sie bleiben stabil, selbst wenn das Gehirn insgesamt stark erregt ist.
Diese Stabilität könnte erklären, warum Alzheimer-Betroffene schon früh die Orientierung verlieren. Wird dieser Zelltyp durch die Krankheit geschädigt, kann das Gehirn die Richtung im Raum nicht mehr zuverlässig bestimmen.
Forscher simulieren den Ausfall der LR-Zellen
„Diese Zellart scheint eigens dafür entwickelt worden zu sein, ein fundamentales Überlebensproblem zu lösen – zu wissen, wo man ist und in welche Richtung man schaut“, sagt Studienleiter Omar Ahmed von der University of Michigan.
Sein Team untersuchte die Funktion der LR-Zellen in Tiermodellen und ergänzte die Befunde mit einem Computermodell. Ergebnis: Bereits kleinste Störungen an wenigen LR-Zellen reichen aus, um das gesamte Orientierungsvermögen aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Alzheimer früh erkennen: LR-Zellen als Marker im Gehirn
Die Ergebnisse könnten künftig helfen, frühe Symptome besser zu erkennen. Denn der retrospleniale Kortex zählt zu den Regionen, die bei Alzheimer zuerst degenerieren – lange bevor Gedächtnisprobleme auftreten. Ahmed und seine Kollegen sehen deshalb die Chance, LR-Zellen als Marker für die Frühdiagnostik zu nutzen. Erste Tests mit bildgebenden Verfahren und Hirnstimulation sind bereits in Vorbereitung.
Auch neue Behandlungsmethoden könnten folgen: Denkbar sind Medikamente, die gezielt auf diesen Zelltyp wirken, ohne das gesamte Gehirn zu beeinflussen. Oder spezielle Orientierungstrainings, die helfen, das Navigationssystem im Kopf länger stabil zu halten.
„Indem wir diese einzigartigen Neuronen im retrosplenialen Kortex besser verstehen, wollen wir langfristig dazu beitragen, diese entscheidende Funktion zu bewahren oder wiederherzustellen“, so Ahmed.
Kurz zusammengefasst:
- Im Gehirn gibt es spezielle LR-Zellen, die berechnen, in welche Richtung sich der Kopf bewegt – und damit unsere Orientierung sichern.
- Bei Alzheimer wird der retrospleniale Kortex früh geschädigt. Das erklärt, warum Betroffene schon zu Beginn die Orientierung verlieren – selbst an vertrauten Orten.
- Weil diese Neuronen einzigartig arbeiten, eröffnen sie neue Chancen: für frühere Diagnosen, gezielte Therapien und Trainings, die das Orientierungsvermögen länger bewahren.
Übrigens: Forscher haben einen möglichen Alzheimer-Schalter im Gehirn entdeckt: Trotz intaktem Bauplan versagen im Alter zentrale Eiweißfabriken. Mit diesem Wissen könnte man neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer direkt an ihrer zellulären Ursache zu stoppen – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Unsplash