Forscher machen Heuschnupfen-Zellen zur neuen Waffe gegen Krebs
Mastzellen lösen bei Heuschnupfen Entzündungen aus. Forscher nutzen diese Reaktion, um Krebs anzugreifen und die Immunabwehr zu verstärken.
Vom Heuschnupfen zur Krebsabwehr: Mastzellen, die sonst allergische Reaktionen auslösen, werden so umprogrammiert, dass sie Krebs angreifen und das Immunsystem aktivieren. © Unsplash
Zellen, die sonst Heuschnupfen auslösen, könnten künftig Krebs angreifen: Chinesische Forscher haben Mastzellen so umprogrammiert, dass sie Tumore finden, Wirkstoffe abladen und das Immunsystem dort verstärken. Der Ansatz nutzt einen Mechanismus, den viele Betroffene aus dem Alltag kennen – die Überreaktion des Körpers auf eigentlich harmlose Stoffe. Die Forscher greifen diese Überreaktion auf und machen sie für die Krebsbehandlung nutzbar. Die Ergebnisse stammen aus einer aktuellen Studie, die im Fachjournal Cell veröffentlicht wurde.
Mastzellen gehören zum angeborenen Immunsystem. Sie reagieren blitzschnell auf vermeintliche Gefahren. Treffen sie auf Pollen, Hausstaub oder Erdnüsse, schütten sie entzündliche Botenstoffe aus. Das führt zu Niesen, Juckreiz oder Schwellungen. Für Millionen Menschen bedeutet das Einschränkungen im Alltag. Für die Wissenschaftler wurde diese starke Reaktion jedoch zum Ausgangspunkt ihrer Forschung.
Allergien gegen Krebs gezielt nutzen – und umlenken
Das Team machte sich die Frage zunutze, ob sich Tumore ähnlich markieren lassen wie Allergene. Die Idee: Wenn Mastzellen Krebs als „Gefahr“ erkennen, könnten sie gezielt dorthin wandern. Genau das gelang. Die Wissenschaftler statteten Mastzellen mit speziellen IgE-Antikörpern aus. Diese Antikörper binden normalerweise Allergene. In der Studie wurden sie so gewählt, dass sie typische Merkmale von Tumorzellen erkennen.
Auf diese Weise sammelten sich die Mastzellen im Tumorgewebe an. Dort erfüllten sie gleich mehrere Aufgaben. Sie transportierten Wirkstoffe direkt zum Krebs. Gleichzeitig setzten sie entzündliche Signale frei, die das Tumorumfeld veränderten. Das machte den Krebs für andere Immunzellen besser angreifbar.
Ein zentrales Element waren sogenannte onkolytische Viren. Diese Viren befallen bevorzugt Krebszellen und zerstören sie von innen. Gesunde Zellen bleiben weitgehend verschont. Die Mastzellen dienten als eine Art biologisches Taxi. Sie brachten die Viren direkt zum Tumor.

Mastzellen wirken doppelt – als Transporter und Verstärker
„Wir haben versucht, Tumore in spezifische Allergene zu verwandeln, um Mastzellen zu aktivieren und eine passende Immunantwort auszulösen“, sagt Studienautor Yu Jicheng von der Zhejiang University laut South China Morning Post. Die Mastzellen setzen nach Ankunft im Tumor entzündliche Stoffe frei. Diese locken weitere Abwehrzellen an, vor allem sogenannte CD8-T-Zellen. Diese Zellen können Krebszellen wirksam abtöten.
Yu beschreibt den Effekt so: „Mastzellen sind nicht nur Transportplattformen für Medikamente, sondern verstärken zugleich die Immunreaktion.“ Wenn die Viren Tumorzellen zerstören, werden neue Tumormerkmale freigesetzt. Die Mastzellen sorgen dafür, dass das Immunsystem diese Signale aufgreift und verstärkt reagiert. Virus- und Immuntherapie greifen so ineinander.
In Tierversuchen zeigte sich ein klarer Effekt. In Mausmodellen mit Hautkrebs, Lungenmetastasen und Brustkrebs verlangsamte sich das Tumorwachstum deutlich. Zudem ließ sich die Ausbreitung der Krankheit bremsen. Auch Rückfälle traten seltener auf.
Personalisierte Therapie rückt näher
Besonders wichtig ist ein weiterer Schritt der Studie. Die Forscher testeten ihr System auch an patientennahen Tumormodellen. Dabei handelte es sich um Tumore mit dem bekannten HER2-Merkmal, das etwa bei bestimmten Brustkrebsarten vorkommt. Menschliche Mastzellen wurden mit passenden IgE-Antikörpern ausgestattet und mit Viren beladen.
Das Ergebnis: Die Mastzellen wanderten in den Tumor ein. Dort stieg die Aktivität der T-Zellen deutlich an. Gleichzeitig schrumpften die Tumoren. Für die Forscher ist das ein Hinweis, dass sich der Ansatz an individuelle Tumore anpassen lässt. Je nach Krebsart könnten andere Antikörper gewählt werden.
Das System ist zudem flexibel. Laut Studie lassen sich Mastzellen nicht nur mit Viren beladen. Auch kleine Wirkstoffe, Proteine, mRNA oder Nanopartikel kommen infrage. So könnten Medikamente lokal freigesetzt werden, ohne den gesamten Körper zu belasten.
Hoffnung, aber noch kein Einsatz beim Menschen
Trotzdem bleibt der Weg in die Klinik noch lang. Die Ergebnisse stammen aus Tiermodellen und patientennahen Tests im Labor. Klinische Studien am Menschen stehen noch aus. Die Forscher arbeiten nach eigenen Angaben daran, den Ansatz weiterzuentwickeln und mit bestehenden Immuntherapien zu kombinieren.
Eine solche Therapie soll wirksamer sein und den Körper weniger belasten. Für die Krebsforschung heißt das vorerst vor allem: besser zu verstehen, wie vielseitig das Immunsystem arbeitet – und warum ausgerechnet Zellen, die sonst Niesanfälle auslösen, eines Tages helfen könnten, Krebs anzugreifen.
Kurz zusammengefasst:
- Forscher programmieren Mastzellen so um, dass sie Krebs wie ein Allergen erkennen: Mithilfe spezieller IgE-Antikörper steuern die Zellen gezielt Tumorgewebe an und bringen Wirkstoffe direkt dorthin.
- Die Mastzellen wirken doppelt: Sie transportieren onkolytische Viren zu Krebszellen und setzen zugleich Botenstoffe frei, die weitere Immunzellen anlocken und die Abwehr verstärken.
- Erfolge zeigen sich bisher im Labor und im Tiermodell: Tumorwachstum und Ausbreitung gingen zurück, personalisierte Therapien erscheinen möglich, klinische Studien am Menschen stehen jedoch noch aus.
Übrigens: Während Forscher Mastzellen aus allergischen Reaktionen nutzen, setzen andere Wissenschaftler auf getarnte Immunzellen im Kampf gegen Krebs – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Unsplash
