Wie KI und Satelliten versteckte Armut aus der Ferne erkennen – bis hinunter auf die Haushaltsebene
Forscher nutzen Satellitenbilder und KI, um Armut sichtbar zu machen – bis auf die Ebene einzelner Haushalte und besser als herkömmliche Methoden.
Die neue KI nutzt Satellitenbilder und Nachbarschaftswissen, um versteckte Armut aufzuspüren und Hilfe gezielter zu lenken.
Armut zeigt sich auf viele Arten – im fehlenden Stromanschluss, in bröckelnden Mauern, in Mahlzeiten, die nicht satt machen. Doch für Behörden oder Hilfsorganisationen bleibt sie oft unsichtbar, vor allem in schnell wachsenden Städten. Klassische Statistiken veralten, bevor sie veröffentlicht sind. Forscher der Rutgers University in den USA haben deshalb eine Methode entwickelt, die Satellitendaten, KI und das Wissen der Anwohner kombiniert, um Hilfen dort ankommen zu lassen, wo sie gebraucht werden.
In Lusaka, der Hauptstadt Sambias, liegen reiche und arme Viertel oft nur eine Straße voneinander entfernt. Auf Satellitenbildern sieht man Licht, Straßen, Dächer. Doch erst in Verbindung mit den Erzählungen der Menschen entsteht ein genaues Bild der Lebenswirklichkeit. Die KI wertet Millionen von Datenpunkten aus, die Bewohner liefern die Bedeutung dazu.
Wenn Daten und Wahrnehmung zusammenwirken
Die neue Methode wurde in der Fachzeitschrift Sustainable Cities and Society vorgestellt. Das Team um Woojin Jung, Assistenzprofessorin an der Rutgers School of Social Work, befragte 300 Haushalte in Lusaka und verknüpfte deren Antworten mit Satellitenbildern, Karten und Internetdaten. Die Befragten beschrieben, woran sie erkennen, ob ein Viertel wohlhabend oder arm ist. Daraus leiteten die Forscher zwölf Kategorien ab – darunter Stromversorgung, Zugang zu Gesundheitsdiensten, Wasser, Straßenqualität, Gebäudestruktur und Bildungseinrichtungen.
Jung erklärt: „Bestehende Ansätze funktionieren nicht immer in Zeiten von Krisen oder schnellen Veränderungen. Wir wollten eine Methode finden, mit der sich gefährdete Haushalte schnell und im großen Maßstab erkennen lassen.“
Die KI lernte, Armut aus der Ferne zu erkennen – anhand von Lichtintensität, Gebäudedichte, Vegetation, Straßenanbindung und weiteren räumlichen Merkmalen. So entstand ein Modell, das Armut bis auf Haushaltsebene vorhersagen kann.
Was die KI sieht – und was Menschen sehen
Die Forscherinnen und Forscher wollten wissen, ob die Einbindung menschlicher Wahrnehmung die KI-Ergebnisse verbessert. Tatsächlich schnitten Modelle, die auf Nachbarschaftsbeschreibungen basierten, deutlich besser ab als rein datengetriebene Varianten. Das kombinierte Verfahren erklärte fast 70 Prozent der Unterschiede im Wohlstand – mehr als doppelt so viel wie klassische statistische Methoden.
Die KI „sieht“ also nur das, was messbar ist – Licht, Formen, Wege. Menschen dagegen wissen, was diese Muster bedeuten: Stromausfälle, überfüllte Busse, leer bleibende Teller. Erst wenn beides zusammenkommt, entsteht ein realistisches Bild.
- Die größten Verbesserungen zeigten sich bei der Vorhersage von Vermögensarmut und beim Erkennen mehrdimensionaler Entbehrungen
- Die Fehlerquote beim Zuteilen von Hilfen sank um bis zu 26 Prozent
- Haushalte, denen es sowohl an grundlegender Ausstattung als auch an ausreichender Ernährung fehlt, ließen sich besonders zuverlässig identifizieren
KI hilft, Armut gerechter zu bekämpfen
Das Besondere an dieser Methode: Sie funktioniert auch dort, wo statistische Daten fehlen. Satellitenbilder und offene Geodaten – etwa von OpenStreetMap oder Internetanbietern – liefern aktuelle Informationen über Infrastruktur, Gebäudedichte oder Verkehrswege. In Kombination mit kurzen Befragungen entsteht eine Karte, die Armut sichtbar macht – nicht als Zahl, sondern als lebendiges Muster.
Für Entwicklungsländer wie Sambia hat das handfeste Vorteile. Viele Hilfsprogramme arbeiten mit veralteten Listen oder groben Schätzungen. Dadurch gehen Unterstützungsleistungen oft an den Ärmsten vorbei. Mit dem neuen Modell können Behörden oder Organisationen ihre Mittel gezielter einsetzen und schnell reagieren, etwa nach Naturkatastrophen oder wirtschaftlichen Krisen.
„Wir konnten zeigen, dass räumliche Merkmale, die auf Gemeinschaftswissen beruhen, die Genauigkeit erheblich verbessern“, sagt Jung. „Das macht Hilfsprogramme nicht nur effizienter, sondern auch gerechter.“
KI zeigt Armut – und erklärt, wie sie rechnet
Ein weiterer Vorteil ist die Nachvollziehbarkeit. Viele algorithmische Verfahren gelten als undurchsichtig. Jung und ihr Team legen Wert auf einfache, überprüfbare Merkmale: Entfernung zu Märkten oder Kliniken, Größe von Gebäuden, Internetgeschwindigkeit, Nachtbeleuchtung. Diese Faktoren lassen sich erklären – und sie stammen aus den Erzählungen der Menschen selbst.
„Wir können kein Vertrauen schaffen, wenn wir die Betroffenen nicht einbeziehen“, so Jung. Die Beteiligung der Bewohner mache die Methode glaubwürdiger und steigere die Akzeptanz für staatliche Hilfsprogramme. In Lusaka arbeitet die Regierung bereits mit den Forschern zusammen, um landwirtschaftliche Zuschüsse wie Saatgut oder Dünger gezielter zu verteilen.
Kurz zusammengefasst:
- KI-Modelle der Rutgers University kombinieren Satellitendaten mit dem Wissen der Anwohner und erkennen Armut präzise bis auf Haushaltsebene.
- Das Verfahren reduziert die Fehlerquote bei der Hilfsverteilung um bis zu 26 Prozent und zeigt, wo Unterstützung am dringendsten gebraucht wird.
- Weil Betroffene einbezogen werden, bleibt die Methode nachvollziehbar, fair und für Sozialprogramme besser akzeptiert.
Übrigens: Der Klimawandel trägt maßgeblich dazu bei, dass Armut weltweit zunimmt – laut Cambridge-Studie könnte er bis 2100 fast ein Viertel des globalen Wohlstands vernichten. Mehr dazu in unserem Artikel.
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