Weltbevölkerung wohl deutlich größer als gedacht – Offizielle Zahlen unterschätzen ländliche Regionen massiv
Der Anteil der Landbewohner an der Weltbevölkerung wird massiv unterschätzt. Das fanden Forscher jetzt in einer neuen Studie heraus.

Selbst bei der besten Schätzung zur Weltbevölkerung wird über die Hälfte der Menschen auf dem Land übersehen. © Vecteezy
Die tatsächliche Weltbevölkerung könnte deutlich größer sein als bislang angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde. Diese Studie hat globale Bevölkerungsdaten mit realen Umsiedlungszahlen aus 307 Staudammprojekten in 35 Ländern verglichen und kam dabei zu dem Ergebnis, dass Menschen in ländlichen Gebieten regelmäßig nicht erfasst werden – und zwar in erheblichem Ausmaß.
Die meisten offiziellen Zahlen rechnen mit einer Weltbevölkerung von rund 8 Milliarden Menschen – so auch das Statistische Bundesamt, das sich auf Berechnungen der Vereinten Nationen bezieht. Demnach lebten am 1. Juli 2024 auf der Erde 8,16 Milliarden Menschen – mehr als die Hälfte davon in Asien, weniger als jeder zehnte in Europa.

Gängige Datensätze unterschätzen Menschen auf dem Land drastisch
Nun fanden Forscher allerdings heraus, dass die fünf am häufigsten genutzten Datensätze die Landbevölkerung teils drastisch unterschätzen. Selbst die beste Schätzung WorldPop weicht im Mittel um 53 Prozent nach unten ab. Noch gravierender fällt die Abweichung bei GHS-POP aus: Dieser Datensatz unterschätzt die ländliche Bevölkerung im Schnitt um 84 Prozent.
Alle untersuchten Modelle – darunter GRUMP, LandScan und GWP – liefern deutlich zu niedrige Zahlen. Die Autoren nutzten für ihren Vergleich Daten zu Zwangsumsiedlungen bei Staudammbauten und verknüpften diese mit hochaufgelösten Satellitenkarten der überfluteten Flächen. Die so ermittelten realen Bevölkerungszahlen in diesen Gebieten verglichen sie mit den Vorhersagen der gängigen Datenmodelle.
Während die Abweichungen in allen Datensätzen auffallen, zeigt die Studie, dass GHS-POP besonders ungenau ist. In mehreren Regionen mit dokumentierten Umsiedlungen von über 1.000 Menschen weist GHS-POP nahezu Nullwerte aus. Das liegt unter anderem daran, dass GHS-POP nur etwa vier Prozent der Gebäude in ländlichen Regionen korrekt erkennt. Der Grund: Die Datengrundlage stammt aus Satellitenbildern mit geringer Auflösung und kann verstreute Siedlungen nicht erfassen.
China, Brasilien und Polen besonders schlecht erfasst
In Ländern mit vielen Datensätzen zeigt sich die Untererfassung besonders deutlich. In China, Brasilien, Australien, Polen und Kolumbien unterschätzen alle fünf Modelle die ländliche Bevölkerung erheblich. So berichten die Wissenschaftler, dass in China 203 Fälle untersucht wurden – mit durchweg zu niedrigen Bevölkerungszahlen.
In sieben Ländern wie Ghana oder Albanien wurden in Einzelfällen auch Übertreibungen festgestellt, doch sie treten selten und nicht flächendeckend auf. In der Mehrheit der Fälle bleiben die Schätzungen klar hinter den dokumentierten Umsiedlungszahlen zurück.
Volkszählungen sind die zentrale Schwachstelle
Die Ursache für die Fehler liegt nicht primär in den Modellen, sondern in der Datenbasis – den Volkszählungen. Diese seien in ländlichen Gebieten oft lückenhaft, veraltet oder methodisch unvollständig. In abgelegenen Regionen scheitern Zählungen zudem oft an sprachlichen Barrieren, mangelndem Zugang oder fehlender Akzeptanz.
Ein Beispiel liefert Paraguay: Dort könnte laut Nature der Zensus 2012 bis zu 25 Prozent der Bevölkerung übersehen haben. Für die Erhebung globaler Bevölkerungszahlen sei das ein großes Problem, da die Schätzungen von UN und Weltbank auf diesen Volkszählungen basieren.
Aber auch die technische Ausstattung der Modelle stößt auf dem Land an ihre Grenzen. Satellitenbilder mit 100-Meter-Auflösung reichen oft nicht aus, um kleine Dörfer zu erkennen. Gebäude werden von Vegetation verdeckt oder bestehen aus Materialien, die sich schlecht von der Umgebung abheben.
Die Forscher nennen das Beispiel Malawi: Dort konnten moderne Satellitentechniken zwar 83 Prozent der Gebäude erkennen, lieferten aber trotzdem zu niedrige Bevölkerungszahlen. Die Genauigkeit der Erkennungssoftware allein reicht also nicht aus, um die wahre Bevölkerungsdichte ländlicher Gebiete zu erfassen.
Forschung empfiehlt WorldPop für globale Vergleiche
Für künftige Studien raten die Forscher zur Nutzung von WorldPop, da es im Vergleich die geringste Abweichung aufweist. Für regionale Analysen in ländlichen Gebieten empfehlen die Wissenschaftler, länderspezifische Fehlerquoten zu berücksichtigen.
Wichtig sei auch ein kritischer Umgang mit bisherigen Studien, die sich auf ungenaue Datensätze stützen. Wer etwa Katastrophenschutz oder Gesundheitsversorgung auf dieser Basis plant, riskiert, ländliche Bevölkerungsgruppen systematisch zu benachteiligen.
Kurz zusammengefasst:
- Gängige Bevölkerungsdatensätze unterschätzen die Zahl der Menschen in ländlichen Regionen teils um über 80 Prozent, weil Satellitenbilder kleine Dörfer nicht ausreichend erfassen.
- Die tatsächliche Weltbevölkerung liegt dadurch wahrscheinlich deutlich höher als offiziell angenommen, was gravierende Folgen für die Versorgung ländlicher Gebiete hat.
- Die Studie empfiehlt, künftig auf genauere Volkszählungen und besser geeignete Datensätze wie WorldPop zurückzugreifen, um die Realität besser abzubilden.
Bild: © Vecteezy