Gefährlicher Trend: TikTok macht Verschwörungsvideos zum Mainstream
Verschwörungsinhalte auf TikTok und YouTube schüren systemkritische Stimmung – oft durch gezielte Zweifel und emotionale Sprache.

TikTok-Videos mit Verschwörungstheorien erreichen Millionen – oft ohne klare Belege, aber mit großer Wirkung auf das Vertrauen in Staat und Gesellschaft. © Unsplash
Was auf TikTok mit einem harmlosen Video über Ernährung oder Geld beginnt, kann schnell in eine ganz andere Richtung kippen: Immer häufiger tauchen Inhalte auf, die Zweifel an Regierung, Medien oder Wissenschaft streuen – und dabei gezielt Verschwörungstheorien verbreiten. Millionen Nutzer sehen solche Clips täglich, oft ohne sie sofort als problematisch zu erkennen.
Eine neue Studie der University of Michigan zeigt, wie TikTok durch seinen Empfehlungsalgorithmus genau diese Inhalte verstärkt. Wer sich damit beschäftigt, rutscht tiefer in eine Welt voller Misstrauen – mit bedenklichen Folgen für das Vertrauen in demokratische Institutionen.
TikTok-Algorithmus befeuert Verschwörungstheorien
In der Untersuchung wurden rund 27.000 TikTok-Videos und mehr als 206.000 Kommentare ausgewertet. Drei Themenfelder standen im Fokus: Verschwörungstheorien, Finanz-Tipps und Wellness-Inhalte.
Besonders auffällig war die Entwicklung bei Verschwörungsvideos:
- In fast 45 Prozent der Clips mit Verschwörungsthemen äußerten die Macher starkes Misstrauen – etwa gegenüber Regierung, Medien, Banken oder Wissenschaft.
- Bei Finanzvideos waren es nur 4 Prozent, bei Wellness-Inhalten 1 Prozent.
- Auf der normalen „For You“-Seite von TikTok tauchten solche Inhalte selten auf – unter 1 Prozent.
Wer gezielt nach solchen Themen sucht oder interagiert, bekommt sie zunehmend angezeigt. Der Algorithmus beobachtet genau, welche Videos wie lange angeschaut und kommentiert werden. Inhalte, die sich gegen etablierte Institutionen richten, werden so automatisch häufiger ausgespielt.
Kommentarspalten als Stimmungsmacher
Die Kommentare unter solchen Videos zeigen eine klare Tendenz. Laut der Studie unterstützten 69 Prozent der Nutzer die Aussagen in den verschwörungstheoretischen Clips. Selbst unter neutraleren Inhalten äußerten sich 63 Prozent zustimmend zu solchen Theorien.
Das schafft eine Art Echokammer. Die Nutzer sehen kaum noch andere Meinungen und glauben womöglich, diese Sicht sei weit verbreitet. Das kann den Eindruck erwecken, man sei „aufgewacht“ – und alle anderen seien „blind“.
Wer wird angegriffen?
In einer Detailanalyse von 50 typischen Verschwörungsvideos wurden besonders oft folgende Ziele genannt:
- Die Regierung (meist ohne genaue Nennung)
- Die Pharmaindustrie („Big Pharma“)
- Das Gesundheitssystem der USA
- Banken und große Finanzkonzerne
- Die NASA – besonders in Flat-Earth-Videos
Viele Aussagen in diesen Clips blieben vage oder hatten keine überprüfbaren Belege. Oft ging es nur darum, Zweifel zu säen.
Die Sprache in solchen Beiträgen ist auffällig. Häufig wird in der „Wir-Form“ gesprochen, um eine Gruppe zu schaffen – gegen „die anderen“. Es tauchen viele religiöse Begriffe, Wörter wie „Hölle“, „Gott“ oder „Sünde“ auf. Außerdem wird stark emotionalisiert: Angst, Kontrolle, Tod sind zentrale Motive.
Warum TikTok anfälliger ist als YouTube
Auch YouTube wurde in der Studie untersucht. Dort waren die Tendenzen deutlich schwächer ausgeprägt:
- Bei verschwörungstheoretischen Videos lag der Anteil an systemkritischen Aussagen bei 20 Prozent.
- Bei Finanzthemen lag er wie bei TikTok bei 4 Prozent, bei Wellness bei nur 0,06 Prozent.
Ein Grund dafür: YouTube filtert problematische Inhalte offenbar strenger. TikTok hingegen ist stärker auf schnellen Konsum und algorithmische Empfehlungen ausgelegt – eine Kombination, die radikale Inhalte besonders rasch groß macht.
Was das für uns bedeutet – und warum es gefährlich ist
Auch wenn Verschwörungstheorien nicht das Internet dominieren, können sie gezielt Einzelne erreichen. Wer aktiv danach sucht oder versehentlich damit in Kontakt kommt, wird vom Algorithmus mit ähnlichen Inhalten versorgt.
Das eigentliche Problem liegt tiefer: Wenn TikTok-Videos systematisch Misstrauen gegenüber Wissenschaft, Justiz, Medien oder dem Gesundheitswesen schüren, gerät das Fundament gesellschaftlicher Ordnung ins Wanken.
Plattformen wie TikTok erzeugen zudem den Eindruck, dass „alle so denken“, obwohl es sich oft um Randmeinungen handelt. So entsteht schleichend ein Klima des Misstrauens, das das Vertrauen in demokratische Institutionen dauerhaft beschädigen kann.
Kurz zusammengefasst:
- Auf TikTok enthalten fast 45 Prozent der Videos zu Verschwörungstheorien Misstrauen gegenüber Regierung, Medien oder Wissenschaft.
- Wer solche Videos ansieht oder kommentiert, bekommt durch den Algorithmus immer mehr davon angezeigt; rund 69 Prozent der Kommentare unter Verschwörungsvideos stimmen den Inhalten zu.
- Häufig werden „die Regierung“, „Big Pharma“, Banken, das US-Gesundheitssystem oder NASA kritisiert; die Videos nutzen Wir-Sprache, religiöse Begriffe und Angstbilder und fördern so Misstrauen gegenüber Institutionen.
Übrigens: Kurze Clips auf TikTok wirken wie ein Dauerfeuer für das Gehirn – unterhaltsam, aber überfordernd. Neue Studien der TU Braunschweig zeigen, dass schon wenige Minuten Kurzvideo-Konsum der Konzentration schaden. Mehr dazu in unserem Artikel.
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