Doppelt so viele Stimmen – Wie die AfD die verunsicherte Mitte abholt
Bei der Bundestagswahl 2025 verdoppelte die AfD ihr Ergebnis. Wer sie nun wählt – und warum sich das gesellschaftliche Bild dabei spürbar verschiebt.

Der starke Zuwachs der AfD bei der Bundestagswahl 2025 markiert einen gesellschaftlichen Wandel, der weit über bisherige Wählermilieus hinausreicht. © DALL-E
Steigende Lebenshaltungskosten, wachsende Unsicherheit und politische Enttäuschung treiben viele Wähler in eine neue Richtung. Bei der Bundestagswahl 2025 hat sich diese Entwicklung deutlich gezeigt – eine Partei konnte ihr Ergebnis mehr als verdoppeln. Die AfD stieg von 10,4 auf 20,8 Prozent der Zweitstimmen – ein Zuwachs, der weit über das bisherige Stammwählermilieu hinausreicht.
Eine neue Analyse der Hans-Böckler-Stiftung untersucht, wer hinter diesem Wandel steht und was die Menschen zur Wahl der Partei bewegt. Grundlage ist eine repräsentative Erwerbspersonenbefragung mit rund 6.700 Teilnehmern aus dem März 2025.
AfD-Zuwachs: Viele Wähler waren früher bei Union, FDP oder SPD
Die AfD hat nicht nur frühere Unterstützer mobilisiert – sie hat auch Menschen erreicht, die 2021 noch anderen Parteien ihre Stimme gaben. Laut Studie stammen rund 60 Prozent der neuen AfD-Wählenden aus dem Lager der Union, FDP oder SPD.
Die Wähler-Herkunft im Detail:
- 22 Prozent: vorher FDP
- 21 Prozent: vorher CDU/CSU
- 18 Prozent: vorher SPD
- 15 Prozent: 2021 Nichtwählende
- 16 Prozent: von anderen Parteien wie Grünen oder Linken
Diese Menschen sind nicht unbedingt radikal. Viele fühlen sich übergangen – wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich. Das spielte der AfD in die Karten.
Das Profil der neuen AfD-Wähler verändert sich
Im Vergleich zur typischen AfD-Basis zeigt sich ein Wandel. Früher war die Partei besonders bei männlichen, mittelalten Ostdeutschen mit niedrigem Bildungsabschluss erfolgreich.
Inzwischen hat sich das Bild erweitert:
- Es wählen mehr Frauen AfD.
- Der Anteil der 56- bis 65-Jährigen ist gewachsen.
- Immer mehr Westdeutsche wenden sich der Partei zu.
- Die Bildungs- und Berufshintergründe sind vielfältiger.
Laut der Studie verstehen sich viele dieser Wähler nicht als ideologisch rechts, sondern als enttäuscht. Für sie ist die AfD Ausdruck von Protest – etwa gegen höhere Energiepreise, unklare Rentenpolitik oder das Gefühl, bei politischen Entscheidungen übergangen zu werden.
Was die Menschen treibt: Unmut, Unsicherheit, Ohnmacht
Die Studie zeigt außerdem: Nicht Armut, sondern gefühlte Benachteiligung treibt viele Menschen zur AfD. Diese „relative Deprivation“ beschreibt die Wahrnehmung, dass andere mehr bekommen, obwohl man selbst hart arbeitet.
Häufige Gründe für diese Unzufriedenheit:
- Angst vor Jobverlust durch Digitalisierung und Klimawandel
- Frust über politische Maßnahmen in der Corona-Zeit
- Druck durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise
- Mangelndes Vertrauen in Politik und Institutionen
- Ablehnung von Migration und sozialer Unterstützung für Geflüchtete
Diese Gemengelage lässt die AfD als Ventil erscheinen – besonders dort, wo sich Alltagssorgen mit gesellschaftlichem Misstrauen vermischen.
Migration bleibt das zentrale Thema für viele AfD-Wähler
Viele der AfD-Wähler nennen Migration als wichtigstes Anliegen für ihre Wahlentscheidung.
Dabei zeigen sich teils drastische Einstellungen:
- 64 Prozent zeigen laut Studie „kein Mitgefühl“ mit Geflüchteten aus der Ukraine
- 85 Prozent fordern, Geflüchtete sollten sich „hinten anstellen“
- 66 Prozent sind überzeugt, Bürgergeldempfänger lebten „auf Kosten der Gesellschaft“
Diese Haltungen spiegeln eine tiefe Skepsis gegenüber Solidarität und staatlicher Unterstützung – gerade, wenn es um Zugewanderte oder sozial schwache Gruppen geht.
Forderungen nach Umverteilung – und trotzdem AfD
Viele neue AfD-Wähler fordern mehr soziale Gerechtigkeit. Sie sprechen sich für einen höheren Mindestlohn und gegen wachsende Ungleichheit aus. Das widerspricht dem offiziellen Kurs der Partei und doch gewinnt sie diese Menschen für sich.
Für Studienautor Dr. Andreas Hövermann liegt der Grund auf der Hand:
Die AfD schaffte es zuletzt, sich bei ihren Wählenden als einziger Heilsbringer zu positionieren.
Nicht Inhalte seien entscheidend, sondern die Abgrenzung zu etablierten Parteien – und das Gefühl, gehört zu werden.
AfD findet dort Zustimmung, wo sie gesellschaftlich verankert ist
Die AfD ist besonders dort erfolgreich, wo sie im Alltag sichtbar ist. In Nachbarschaften, auf Sportplätzen oder in Betrieben wird sie immer häufiger als legitime Option wahrgenommen. Dadurch sinkt die Hemmschwelle, sie zu wählen.
Prof. Dr. Bettina Kohlrausch vom WSI warnt:
Die AfD mobilisiert erfolgreich Ängste und soziale Verunsicherungen.
Wer den politischen Raum nicht den Vereinfachern überlassen will, müsse aufzeigen, dass es Alternativen gibt – glaubwürdig, konkret, sozial abgesichert. Die Hans-Böckler-Stiftung fordert eine Politik, die echte Sicherheit bietet. Schuldzuweisungen und Angstmache führen nur in die Sackgasse. Was viele Menschen brauchen, ist ein glaubwürdiger Zukunftsplan – einer, der ihre Sorgen ernst nimmt und ihnen konkrete Perspektiven aufzeigt.
Kurz zusammengefasst:
- Der starke Zuwachs der AfD bei der Bundestagswahl 2025 geht vor allem auf neue Wähler aus der politischen Mitte zurück – viele kamen zuvor von FDP, CDU/CSU oder SPD.
- Viele dieser Wähler fühlen sich sozial abgehängt, wirtschaftlich unter Druck oder politisch nicht mehr vertreten – und sehen in der AfD die einzige Partei, bei der sie Gehör finden.
- Migration, soziale Abstiegsängste und Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen zählen zu den Hauptgründen für die wachsende Zustimmung zur AfD.
Übrigens: Vor der Bundestagswahl 2025 warben viele Parteien mit großen Versprechen – im Regierungshandeln spiegelt sich davon bislang wenig. Warum Wahlvorhaben oft nicht umgesetzt werden und wie Koalitionen, Krisen und Kompromisse dabei eine Rolle spielen – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E