Instagram-Sucht ist meist Einbildung – nur zwei Prozent sind wirklich betroffen
Viele Instagram-Nutzer schätzen ihr Verhalten fälschlicherweise als Sucht ein, weil der Begriff zu schnell verwendet wird – laut einer Studie erfüllen nur zwei Prozent echte Suchtkriterien.
Scrollen gehört für viele Menschen zur täglichen Routine – und ist meist mehr Gewohnheit als Sucht. © Pexels
Viele halten sich für Instagram-süchtig – doch eine neue Studie zeigt: Wer sein Verhalten als „Sucht“ einordnet, fühlt sich schneller machtlos und macht sich mehr Vorwürfe, obwohl oft Gewohnheit dahintersteckt. Das trifft einen wunden Punkt im Alltag: Viele greifen morgens als Erstes zum Handy, scrollen „nur kurz“ in der Bahn und bleiben abends länger hängen als geplant.
Hinterher kommt das ungute Gefühl: keine Kontrolle, zu schwach, schon abhängig. Dieses Selbstbild kann das Problem verstärken – obwohl bei den meisten nicht Entzug und Zwang im Vordergrund stehen, sondern erlernte Routinen, die automatisch anspringen, heißt es in der Studie.
Die Psychologen Ian A. Anderson und Wendy Wood von der University of Southern California wollten genau wissen, wie stark Menschen ihre eigene Social-Media-Nutzung einschätzen – und ob diese Einschätzung der Realität entspricht. Ihre Studie kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Nur ein sehr kleiner Teil der Nutzer erfüllt die Kriterien einer echten Abhängigkeit.
Wenn Gewohnheit zur vermeintlichen Sucht wird
Für die Untersuchung befragten die Forscher mehr als 1.200 Erwachsene in den USA, darunter 380 aktive Instagram-Nutzer. Das Ergebnis: Rund 18 Prozent gaben an, sich zumindest ein wenig süchtig zu fühlen, fünf Prozent sahen sich sogar als stark abhängig. Doch nur etwa zwei Prozent zeigten tatsächlich Symptome, die auf eine potenzielle Sucht hinweisen könnten.
Zu diesen Symptomen zählen:
- starkes Verlangen, die App zu öffnen,
- Kontrollverlust über die Nutzungsdauer,
- Unruhe oder Frust, wenn man nicht online ist,
- und die Fortsetzung des Verhaltens trotz negativer Folgen.
Die meisten Nutzer erfüllten keine dieser Bedingungen. Sie nutzten Instagram regelmäßig, aber ohne Kontrollverlust – ähnlich wie man täglich Kaffee trinkt, ohne koffeinsüchtig zu sein.
Medienberichte verstärken den Eindruck von Abhängigkeit
Anderson und Wood suchten nach einer Erklärung für die große Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und tatsächlichem Verhalten. Sie analysierten über 4.000 Artikel aus US-Medien, die zwischen 2021 und 2024 veröffentlicht wurden. Dabei fiel auf, dass der Begriff „Social-Media-Sucht“ fast immer verwendet wurde, wenn über häufige Nutzung berichtet wurde – der Begriff „Gewohnheit“ tauchte dagegen kaum auf.
Das hat Folgen. Wenn ständig von „Sucht“ die Rede ist, beginnen Menschen, ihr eigenes Verhalten unter diesem Label zu betrachten. „Der Begriff beeinflusst, wie Menschen über ihr Verhalten denken“, sagt Anderson. Wer sich selbst als abhängig bezeichnet, schätzt seine Kontrolle automatisch geringer ein – und empfindet Schuldgefühle, auch wenn das Verhalten harmlos ist.
Wie Sprache unser Selbstbild formt
In einem zweiten Versuch prüften die Forscher, wie sich diese Wahrnehmung gezielt beeinflussen lässt. Dafür baten sie 824 weitere Personen, ihre Nutzung von Instagram entweder als „Sucht“ oder als „Gewohnheit“ zu beschreiben. Das Ergebnis war deutlich: Wer das Wort „Sucht“ verwendete, fühlte sich weniger selbstbestimmt und machte sich selbst oder die Plattform stärker verantwortlich.
„Die Art, wie wir über Social Media sprechen, kann Verhalten und Gefühle verändern“, erklärt Wood. Der ständige Gebrauch des Wortes „Sucht“ könne dazu führen, dass Menschen ihre Kontrolle unterschätzen – und damit erst recht das Gefühl entwickeln, sie verloren zu haben.
Warum übertriebene Warnungen nach hinten losgehen
Die Experten sehen in der öffentlichen Diskussion ein Missverständnis. Häufige Warnungen vor digitaler Abhängigkeit können unbeabsichtigt das Gegenteil bewirken: Sie verstärken das Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben. Das kann zu unnötiger Sorge oder sogar zu Stress führen.
Anderson und Wood schlagen vor, mit dem Begriff Sucht sensibler umzugehen – sowohl in Medienberichten als auch in der Politik. Ein differenzierterer Sprachgebrauch könne helfen, zwischen normalem Nutzungsverhalten und echten psychischen Problemen zu unterscheiden.
Gewohnheit oder schon Sucht?
Wer sich fragt, ob das eigene Nutzungsverhalten problematisch ist, sollte auf einfache Anzeichen achten:
- Wird Instagram zur Pflicht, obwohl es keinen Spaß mehr macht?
- Fällt es schwer, die App für einige Stunden zu schließen?
- Beeinträchtigt das Scrollen Arbeit, Schlaf oder Beziehungen?
Wenn das nicht der Fall ist, spricht vieles dafür, dass die Nutzung harmlos ist. „Die meisten Menschen nutzen soziale Medien aus Routine – nicht, weil sie süchtig sind“, so Anderson und Wood.
Kurz zusammengefasst:
- Nur etwa zwei Prozent aller Instagram-Nutzer zeigen tatsächlich Anzeichen einer Abhängigkeit – die meisten scrollen schlicht aus Gewohnheit.
- Häufige Medienberichte über „Social-Media-Sucht“ können dazu führen, dass Menschen ihr eigenes Verhalten fälschlich als Sucht wahrnehmen und sich weniger kontrolliert fühlen.
- Eine bewusstere Wortwahl im Umgang mit digitalem Verhalten kann helfen, zwischen harmloser Nutzung und echter Abhängigkeit zu unterscheiden – und so unnötige Schuldgefühle vermeiden.
Übrigens: Scrollen kann klüger machen – wenn man es richtig anstellt. Eine deutsche Studie zeigt, dass schon kleine Fragen in Instagram-Storys den Lerneffekt deutlich steigern. Mehr dazu in unserem Artikel.
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