Wenn Demenz mit Diebstahl beginnt – Forscher warnen vor frühem Fehlverhalten

Demenz zeigt sich nicht nur durch Vergesslichkeit – auch plötzliches kriminelles Verhalten kann ein erstes Warnsignal sein.

Demenz: Kriminelles Verhalten als erstes Warnsignal

Bei bestimmten Demenzformen verändern sich soziale Hemmungen früh – manche Betroffene überschreiten dabei sogar gesetzliche Grenzen. © Pexels

Menschen, die sich plötzlich anders verhalten – unbeherrscht, impulsiv, manchmal sogar gesetzeswidrig. Ein Mann uriniert in aller Öffentlichkeit, eine Frau fährt ohne Führerschein, ein Nachbar wird grundlos aggressiv. Was wie Provokation oder Regelbruch aussieht, kann ein erstes Anzeichen von Demenz sein.

Das legt eine internationale Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften nahe: Kriminelles Verhalten ist in manchen Fällen schon früh ein Warnsignal der Erkrankung.

Persönlichkeitsveränderung statt Vergesslichkeit

Für die Analyse wurden die Daten von 236.360 Betroffenen aus 14 internationalen Studien ausgewertet. Das Ziel: herausfinden, wie häufig Menschen mit Demenz Verhaltensweisen zeigen, die als kriminell gelten. Besonders im Fokus stand die frontotemporale Demenz, bei der nicht das Gedächtnis, sondern das Sozialverhalten zuerst betroffen ist.

Mehr als die Hälfte der untersuchten Patienten mit dieser Diagnose zeigte auffälliges Verhalten – lange bevor sie offiziell als krank galten. Dazu zählen Regelverstöße, Aggressionen, sexuelles Fehlverhalten oder Straftaten wie Diebstahl.

Große Unterschiede zwischen den Krankheitsbildern

„Kriminelles Verhalten ist ein häufiges Symptom bei Demenz – am stärksten ausgeprägt bei der frontotemporalen Demenz“, heißt es im Bericht.

Im direkten Vergleich der Demenzformen zeigten Betroffene kriminelles der sozial auffälliges Verhalten besonders häufig bei:

  • Frontotemporaler Demenz (bvFTD): 52,8 Prozent
  • Semantischer primär progressiver Aphasie (svPPA): 34,7 Prozent
  • Alzheimer-Krankheit: 12,3 Prozent
  • Vaskulärer Demenz: 17,3 Prozent
  • Huntington-Krankheit: 15,5 Prozent
  • Parkinson-Syndrom: 6,4 Prozent

Selbst unter Berücksichtigung der Kriminalitätsraten im jeweiligen Land blieb der Abstand bestehen. Bei bvFTD war das Risiko achtmal so hoch wie bei Alzheimer, bei svPPA fast fünfmal.

Gehirnschwund schwächt die innere Bremse

Viele Betroffene handeln nicht vorsätzlich, sondern verlieren durch die Krankheit die Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Dabei schrumpfen bestimmte Bereiche im Gehirn – vor allem im sogenannten Temporallappen. Diese Region steuert, wie gut ein Mensch Gefühle kontrollieren, Impulse zügeln und das eigene Verhalten anpassen kann. Wenn dort Nervenzellen absterben, wie es bei der frontotemporalen Demenz oft geschieht, fallen wichtige innere Hemmungen weg.

Die Folge: Betroffene handeln plötzlich unüberlegt, gereizt oder aggressiv – ohne sich darüber bewusst zu sein. Genau das könnte erklären, warum manche Patienten auffällig werden, lange bevor sie als dement erkannt werden.

„Kriminelles Risikoverhalten bei frontotemporaler Demenz wird höchstwahrscheinlich durch die neurodegenerative Erkrankung selbst verursacht. Die meisten Patienten zeigten zum ersten Mal in ihrem Leben kriminelles Risikoverhalten und hatten zuvor keine Vorstrafen“, erklärt Studienleiter Prof. Dr. Dr. Matthias Schroeter.

Medizin und Justiz stehen vor einer neuen Realität

Die Studie stellt das Rechtssystem vor Herausforderungen. Menschen mit Demenz verstoßen nicht aus krimineller Energie gegen Gesetze – oft wissen sie nicht einmal, was sie tun. Das hat Folgen für den Umgang mit solchen Fällen:

  • Behörden müssen auffälliges Verhalten bei Älteren medizinisch einordnen können
  • Es braucht klare Regeln, wann eine Erkrankung strafmildernd wirkt
  • Gefängnisse sind kein geeigneter Ort für demenzkranke Menschen

Was Angehörige wissen sollten

Für Familien ist der plötzliche Wandel oft schwer zu begreifen. Wenn ein Mensch plötzlich lügt, klaut oder schreit – und man ihn kaum wiedererkennt –, ist die emotionale Belastung enorm. Doch gerade solche Veränderungen können wichtige Warnsignale sein:

Darauf sollte man achten:

  • Plötzliche Persönlichkeitsveränderungen
  • Regelbrüche oder soziale Grenzüberschreitungen
  • Unangemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit

Je früher eine Diagnose gestellt wird, desto eher lassen sich Eskalationen vermeiden – etwa durch Therapien, Betreuung oder rechtliche Absicherung.

Männer deutlich häufiger betroffen

In fast allen Studien waren Männer überproportional vertreten. Sie fielen vier- bis siebenmal häufiger durch kriminelles Verhalten auf als Frauen. Besonders oft ging es um öffentliches Urinieren, Verkehrsdelikte und aggressive Übergriffe.

In den meisten Fällen handelt es sich nicht um schwere Verbrechen. Es sind Diebstähle, Beleidigungen, Schwarzfahrten oder kleinere Gewalttaten – doch auch diese haben Folgen. Wer nicht erkennt, dass hinter dem Verhalten eine Krankheit steckt, verurteilt falsch. Schroeter warnt:

Man muss eine weitere Stigmatisierung von Menschen mit Demenz verhindern.

Kurz zusammengefasst:

  • Früh auftretendes kriminelles Verhalten im mittleren Alter kann ein erstes Warnzeichen für Demenz sein – vor allem bei frontotemporaler Demenz.
  • Über die Hälfte der Betroffenen mit dieser Diagnose zeigte Verhaltensauffälligkeiten, lange bevor die Krankheit offiziell erkannt wurde.
  • Gesundheitssystem, Justiz und Gesellschaft müssen lernen, solche Veränderungen richtig zu deuten – um Betroffene nicht fälschlich zu verurteilen.

Übrigens: Nicht nur Gene oder Alter beeinflussen das Risiko für Demenz – auch die Luft, die wir täglich einatmen, kann entscheidend sein. Unsichtbare Schadstoffe aus Abgasen gelangen bis ins Gehirn und könnten dort bleibenden Schaden anrichten. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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