Ein Tropfen Speichel der Parasiten genügt und die Abwehr zieht sich zurück – so schleusen Zecken Borreliose in den Körper
Der Speichel von Zecken manipuliert das menschliche Immunsystem so, dass Zellen ihre Schutzfunktion verlieren: Anstatt den Körper zu alarmieren, dämpfen sie die Abwehrreaktion.
Durch Zeckenbisse können Menschen mit Borreliose infiziert werden – die Übertragung geschieht durch den Speichel der Blutsauger. © Pexels
Wenn die Temperaturen steigen, werden sie wieder aktiv: Zecken. Die winzigen Blutsauger lauern in Wiesen und Wäldern – und mit ihnen steigt jedes Jahr die Gefahr, sich mit Borreliose anzustecken. In Deutschland sind nach Angaben der Krankenkassen mehrere Hunderttausend Menschen betroffen.
Eine aktuelle Studie aus Wien zeigt jetzt, dass diese Infektionen viel heimtückischer ablaufen, als bislang gedacht. Der Erreger allein ist nicht das Problem. Es ist der Speichel der Zecke, der dem Immunsystem einen Streich spielt.
Wie Zeckenspeichel die Abwehr manipuliert
Ein Forschungsteam der Medizinischen Universität Wien hat untersucht, was im Körper unmittelbar nach einem Zeckenstich passiert. Die Wissenschaftler konzentrierten sich dabei auf den Speichel der Zeckenart Ixodes ricinus, die in Mitteleuropa am häufigsten vorkommt. Diese Flüssigkeit enthält spezielle Moleküle, die das menschliche Immunsystem beeinflussen – und das nutzt der Borreliose-Erreger Borrelia burgdorferi aus.
In der Haut sitzen sogenannte Langerhans-Zellen. Sie gehören zur ersten Abwehrlinie des Körpers. Ihre Aufgabe ist es, fremde Erreger zu erkennen und sofort eine Immunreaktion zu starten. Doch nach einem Zeckenstich verschwinden die Immunzellen überraschend schnell aus der obersten Hautschicht.
Immunzellen wechseln die Seiten
Die Forscher fanden heraus, dass Botenstoffe im Zeckenspeichel dafür sorgen, dass die Langerhans-Zellen in tiefere Hautschichten abwandern. Dort verlieren sie ihre ursprüngliche Schutzfunktion und werden in einen sogenannten „tolerogenen Zustand“ versetzt. Das bedeutet: Statt Alarm auszulösen, dämpfen sie die Immunreaktion. Der Körper reagiert also genau dann ruhig, wenn er eigentlich angreifen müsste.
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass der Zeckenspeichel selbst einen entscheidenden Beitrag dazu leistet, die lokale Immunabwehr so umzuprogrammieren, dass sich Borrelien leichter im Körper ansiedeln können“, erklärt Erstautorin Johanna Strobl von der Universitätsklinik für Dermatologie in Wien. Dadurch könne sich der Erreger ungestört vermehren – oft, ohne dass Betroffene sofort etwas bemerken.
Warum Borreliose immer wieder ausbrechen kann
Die Studie liefert auch eine Erklärung für ein bekanntes medizinisches Rätsel: Warum können sich Menschen mehrfach mit Borreliose infizieren, obwohl der Körper den Erreger bereits kennt? Das Immunsystem erkennt den Erreger offenbar nicht zuverlässig wieder, weil die Zecke bei jedem Stich dieselbe Taktik nutzt: Sie schickt ein winziges Arsenal an Molekülen in die Haut, das die Abwehrreaktion bremst. Der Körper „lernt“ also nicht daraus – ein Problem, das auch die Entwicklung eines Impfstoffs erschwert.
„Dies könnte erklären, warum eine Infektion mit Borrelia burgdorferi häufig keine dauerhafte Immunität hinterlässt und wiederholte Infektionen möglich sind“, so Co-Autorin Lisa Kleißl.
Wie sich das Risiko eines Zeckenstichs wirksam verringern lässt
Wenn Forscher verstehen, wie der Zeckenspeichel die Abwehr lahmlegt, lassen sich gezielte Gegenmaßnahmen entwickeln. Denkbar sind Impfstoffe oder Salben, die bestimmte Botenstoffe blockieren und damit den Manipulationseffekt verhindern.
Bis dahin bleibt der wichtigste Schutz vor einem Zeckenstich:
- geschlossene Kleidung bei Spaziergängen durch hohes Gras oder Waldgebiete
- sofort nach Aufenthalten im Freien auf Zecken absuchen
- Zecken nach einem Stich möglichst schnell und korrekt entfernen
Je kürzer eine Zecke saugt, desto geringer ist das Risiko, dass der Erreger übertragen wird. Doch die Wiener Forscher machen deutlich: Schon der erste Kontakt mit Speichel kann genügen, um die Immunabwehr zu verändern.
Kurz zusammengefasst:
- Der Speichel der Zecke beeinflusst das Immunsystem so, dass es auf den Erreger Borrelia burgdorferi kaum reagiert – dadurch kann sich Borreliose leicht im Körper ausbreiten.
- Forscher fanden heraus, dass bestimmte Hautzellen nach einem Stich ihre Schutzfunktion verlieren und die Abwehr sogar bremsen.
- Weil der Körper daraus nichts „lernt“, kann man sich mehrfach infizieren – umso wichtiger sind Zeckenschutz, gründliches Absuchen und rasches Entfernen nach jedem Stich.
Übrigens: Nicht nur auf heimischen Wiesen lauern Krankheitsüberträger – auch in Flugzeugen reisen sie mit. Wie Zecken auf der Haut können Ratten im Frachtraum Krankheitserreger über Kontinente schleusen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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