Wenn die Kühlkette reißt: Dieses Bio-Etikett macht Temperaturpannen sofort sichtbar
Selbst nach dem Abkühlen bleibt eine Temperaturpanne nachweisbar: Ein Bio-Etikett aus der Schweiz speichert Kühlketten-Ausreißer dauerhaft.
Die bioabbaubare Etikette ist so dünn wie ein Blatt Papier und misst dennoch präzise Temperatur und Luftfeuchtigkeit. © Empa
Ob frische Lebensmittel, empfindliche Impfstoffe oder teure Medikamente: In der Kühlkette entscheidet oft ein kurzer Temperaturausreißer darüber, ob eine Lieferung noch nutzbar ist oder weggeworfen werden muss. Viele Unternehmen setzen dafür auf batteriebetriebene Datenlogger oder RFID-Lösungen mit Chip. Sie liefern Messwerte, verursachen aber auch Elektronikmüll und machen Recycling nötig. Und selbst einfache Farbindikatoren bleiben manchmal Auslegungssache.
Forscher der Schweizer Empa haben nun eine Alternative entwickelt: ein drahtlos auslesbares Temperatur-Etikett, das ohne Batterie und ohne Chip auskommt – und sich am Ende im Kompost zersetzt. Das Neue daran ist die Kombination aus nachhaltigen Materialien und einem klaren Ergebnis: Das Etikett speichert dauerhaft, ob eine festgelegte Temperaturschwelle überschritten wurde. Es erstellt keine Temperaturkurve, sondern gibt ein eindeutiges Ja-oder-Nein-Signal.
Die Idee stammt aus dem Forschungsprojekt Greenspack, das in der Fachzeitschrift Nature Communications vorgestellt wurde. Ziel war es, einen „Ersthinweis“ für Temperaturpannen in Lieferketten zu schaffen – als einfache, skalierbare Alternative zu Einweg-Elektronik, gerade bei sensiblen Gütern.
Biologische Materialien sorgen für zuverlässige Temperaturerkennung
Das unscheinbare Etikett besteht aus einer dünnen Schicht biologisch abbaubarer Materialien – einer Kombination aus Zellulosefasern und einem Biopolymer namens PHBH. Auf das Substrat druckten die Forscher ein RLC-Schaltmuster aus Zink, also einen Resonanzkreis, der sich später drahtlos auslesen lässt. Das Metall baut sich in der Umwelt vollständig ab. Eine Schutzschicht aus Bienenwachs schützt die Zinkbahnen vor Oxidation.
Im Inneren sorgen pflanzliche Öle wie Oliven-, Jojoba- oder Kokosöl für den Temperatureffekt. Wird eine bestimmte Grenze überschritten, schmilzt das Öl. Dadurch verändert sich die elektrische Resonanz des Etiketts. Beim Auslesen erkennt das Lesegerät sofort, dass die Ware zu warm geworden ist. Die Studie beschreibt dabei einen dauerhaften Frequenzsprung von mehr als 30 Megahertz – irreversibel, also auch dann noch sichtbar, wenn die Ware später wieder abkühlt.
„Wenn wir von Impfstoffen sprechen, kann eine solche Anzeige bedeuten, dass die Lieferung nicht mehr verwendet werden darf“, erklärt Empa-Forscher Gustav Nyström.
Smartes Etikette reagiert schnell – abhängig von der Ausgangstemperatur
In Tests zeigten die smarten Etiketten eine hohe Präzision. Bei Raumtemperatur reagierten sie auf eine Erwärmung auf 30 Grad innerhalb von etwa zehn Sekunden. Kam das Etikett direkt aus einer Lagerung bei minus zehn Grad, brauchte es bis zu rund 140 Sekunden, bis der Frequenzsprung einsetzt; danach erreichte das System seinen Endzustand innerhalb weiterer rund 80 Sekunden. So funktioniert das System:
- Das Etikett wird außen auf die Verpackung geklebt.
- Ein Lesegerät prüft drahtlos den Zustand – das klappt im Nahbereich, also nur mit sehr geringem Abstand (unter zwei Zentimetern).
- Der Frequenzsprung bleibt dauerhaft gespeichert.
Die Temperaturgrenzen legen die Öle fest: Olivenöl reagiert bei 8 °C, Jojobaöl bei 15 °C, Kokosöl bei 25 °C. Damit passt 8 °C zu gekühlter Ware; 15 oder 25 °C eignen sich für andere Produkte, je nach Vorgabe. Ein Zusatz aus Zellulose saugt das geschmolzene Öl auf – so arbeitet das Etikett auch dann stabil, wenn ein Paket schräg liegt (Tests von 0 bis 90 Grad).
Kompostierbar statt Elektroschrott
Das Etikett kommt ohne Batterie aus – es braucht also keinen Strom und hinterlässt keine klassische Einweg-Elektronik. Die Forscher prüften, wie gut es sich nach der Nutzung abbaut: In einem Kompost-Test unter standardisierten Bedingungen (ISO 20200) zerfiel das System innerhalb von neun Wochen. Erste Zeichen des Zerfalls zeigten sich schon deutlich früher.
Wichtig für den Alltag: Auch wenn die Luftfeuchtigkeit schwankte, blieb das Funksignal stabil genug, um zuverlässig auszulesen, ob die Temperaturgrenze überschritten wurde. Insgesamt ist das ein Beispiel für abbaubare Elektronik – Technik, die nach dem Einsatz nicht als dauerhafter Müll bleibt, sondern sich zersetzt, ohne problematische Rückstände zu hinterlassen.
Schnell und günstig produziert
Die Etiketten lassen sich wie ein Motiv auf Papier drucken – im Siebdruck, ähnlich wie bei Zeitungen. Das macht die Produktion günstig und eignet sich für große Stückzahlen. Als Leitbahnen dient Zink, das als leitfähige Tinte aufgetragen und mit kurzen Lichtblitzen „fixiert“ wird. Am Ende ist das Etikett etwa münzgroß (rund 22 Millimeter), biegsam und kaum schwerer als ein Stück Papier.
Ausgelesen wird es nicht mit der Handy-Kamera, sondern mit einem kleinen Funk-Lesegerät. Die Forscher nutzten dafür einen kompakten Reader aus preiswerten Bauteilen, der in der Studie insgesamt unter 400 US-Dollar kostet. Er erkennt den Zustand des Etiketts und schickt das Ergebnis per WLAN an das Smartphone. Das Handy zeigt also nur an, was der Reader gemessen hat.
Frühwarnsystem für sensible Waren
Nyström sieht die Etiketten als günstigen „Erstcheck“ für Lieferketten, der sich leicht auf Verpackungen integrieren lässt. „Unser Ziel ist eine kostengünstige, nachhaltige Lösung, die sich in bestehende Lieferketten integrieren lässt“, sagt er. Sein Team arbeitet bereits an Varianten mit weiteren Temperaturschwellen und an Sensoren, die statt Wärme auch Feuchtigkeit anzeigen – etwa für Agrar-Anwendungen.
Kurz zusammengefasst:
- Schweizer Forscher haben ein smartes Etikett für die Kühlkette entwickelt: Es lässt sich drahtlos auslesen, kommt ohne Batterie und Chip aus und speichert Temperaturpannen dauerhaft als Ja-oder-Nein.
- Möglich wird das durch einen gedruckten Zink-Resonanzkreis auf einem PHBH-Zellulose-Träger und pflanzliche Öle, die bei definierten Temperaturen schmelzen und einen irreversiblen Frequenzsprung auslösen; Zellulose nimmt das Öl auf und stabilisiert die Anzeige.
- Nach der Nutzung zerfiel das System im standardisierten Komposttest (ISO 20200) innerhalb von neun Wochen. Zuvor blieb es auch bei wechselnder Luftfeuchte zuverlässig auslesbar – als nachhaltiger Erstcheck für Temperaturpannen.
Übrigens: Recycling klingt oft nach einer einfachen Lösung für mehr Nachhaltigkeit – doch das stimmt nur bedingt. Eine internationale Studie zeigt, dass echtes Umdenken beim Produktdesign weit mehr Emissionen spart als reines Wiederverwerten. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Empa
