Gletscher-Puffer bricht weg: Studie warnt vor drastischem Wassermangel im Sommer
Schwindende Gletscher bedrohen die Wasserversorgung – Forscher warnen vor Dürren, die künftig ganze Regionen austrocknen könnten.
Der Tapado-Gletscher in den südlichen Anden zeigt, wie stark die Gletscher am Limit sind. Aus seinem Eis strömt Schmelzwasser, das noch immer die Wasserversorgung in der Region sichert. © Álvaro Ayala
Gletscher sind die stillen Wasserreservoire der Erde. In heißen Sommern schmelzen sie und speisen Flüsse, Seen und Trinkwasserspeicher. Doch diese natürliche Reserve gerät aus dem Gleichgewicht. In Chile zeigt sich, wie stark die globale Wasserversorgung ins Wanken geraten kann, wenn Gletscher verschwinden. Was dort geschieht, könnte bald auch Europa betreffen.
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) hat die Folgen der seit über 15 Jahren anhaltenden „Megadürre“ in Chile untersucht. In ihrer Studie wollten die Forscher herausfinden, welche Rolle die Gletscher bisher gespielt haben und wie lange sie diese Funktion noch erfüllen können. Ihre zentrale Erkenntnis: Die natürliche Pufferfunktion geht verloren.
Untersucht wurden dafür die 100 größten Gletscher zwischen 30 und 40 Grad südlicher Breite – also genau in der Zone, die von der Megadürre besonders stark getroffen ist.
Gletscher schmelzen schneller als je zuvor
In den südlichen Anden fließt das Wasser trotz extremer Trockenheit weiter – dank rund 15.000 Gletschern. Wenn Regen und Schnee ausbleiben, schmilzt das Eis und gleicht den Mangel aus. Doch dieser Ausgleich hat seinen Preis. Das Eis schmilzt schneller, als es sich regenerieren kann.
Zwischen 2010 und 2019 verloren die Gletscher etwa zehn Prozent ihrer Masse. In derselben Zeit sanken die Niederschläge im Durchschnitt um 36 Prozent. Trotzdem blieb der Wasserfluss in den Flüssen nahezu stabil. Der Grund: Schmelzwasser ersetzte das fehlende Regenwasser – auf Kosten der Gletscher selbst.
Im Inneren verschob sich das System: Weniger Schnee bedeutete weniger Schneeschmelze – und genau diese Lücke füllte zunehmend die Eisschmelze.
2019 war besonders extrem. Es regnete 66 Prozent weniger als üblich, die Temperaturen stiegen um fast ein Grad. Das zusätzliche Schmelzwasser entsprach 454 Millionen Kubikmetern – doppelt so viel wie das größte Trinkwasserreservoir des Landes, der Stausee El Yeso. Die an der Studie beteiligte Forscherin Francesca Pellicciotti warnt:
Am Ende des Jahrhunderts werden die Gletscher ihre Fähigkeit zur Wasserversorgung erschöpft haben.
Gletscher verlieren massiv an Volumen
Das Team simulierte, wie sich Klima, Niederschläge und Eisvolumen bis zum Jahr 2100 verändern. Für „Megadürren der Zukunft“ wählten die Forscher jeweils die zehn trockensten Jahre im Zeitraum 2075 bis 2100 – je nach Klimamodell und Emissionspfad. Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Wasserversorgung durch die Gletscher wird dramatisch zurückgehen.
Im besten Fall verlieren die Gletscher 55 Prozent ihres Volumens, im schlechtesten 78 Prozent. Gleichzeitig fällt weniger Schnee, während Regen häufiger wird – Wasser, das rasch abfließt und kaum gespeichert wird.
Fehlt der Schnee, nimmt die Schmelze zu
Dazu kommt ein Verstärker, den Forscher „Albedo-Effekt“ nennen: Fehlt frischer Schnee, wird die Eisoberfläche dunkler, reflektiert weniger Sonnenlicht und nimmt mehr Wärme auf – die Schmelze beschleunigt sich.
Nicht alle Gletscher reagieren gleich: Schuttbedeckte Gletscher und solche weiter nördlich behalten im Modell teils mehr Volumen als andere.
Besonders kritisch sind die Sommermonate. Für die späte Jahrhundertphase (2090–2099) sinkt der Sommer-Abfluss im Modell je nach Szenario besonders stark – im ungünstigen Fall um rund 63 Prozent. Das Wasser, das heute Dürren überbrückt, wird in Zukunft fehlen. Und selbst in den simulierten Megadürre-Jahren am Ende des Jahrhunderts schrumpft der Sommer-Abfluss deutlich – statt wie 2019 noch einmal „zu retten“.
Chile als Warnung für Europa
Chile gilt als eines der Länder, das den Klimawandel besonders deutlich spürt. Doch auch in Europa könnte sich die Lage zuspitzen. Die Alpenregion spielt für Flüsse wie Rhein, Rhone und Po eine ähnliche Rolle wie die Anden für Südamerika. Schwindet das Eis, trifft das Trinkwasser, Landwirtschaft und Energieversorgung gleichermaßen.
„Das ist ein globales Risiko“, warnen die Forscher. Ihr Modell zeigt, dass Regionen mit schmelzenden Gletschern künftig stärker von jährlichen Niederschlägen abhängen. Das erhöht die Anfälligkeit für Dürreperioden – eine Entwicklung, die auch Südeuropa bereits spürt.
Bis 2100 könnte das jährliche Schmelzwasser um 20 Prozent zurückgehen, in den Sommermonaten sogar um fast 50 Prozent. Genau dann, wenn der Bedarf am höchsten ist. Paradox daran: In einer Übergangsphase kann der Abfluss zunächst kurz ansteigen, weil mehr Eis schmilzt – doch sobald zu viel Volumen verloren ist, kippt der Effekt.
Neue Strategien für die Wasserversorgung
Die Forscher fordern internationale Strategien für ein modernes Wassermanagement. Viele Länder verlassen sich auf jahrzehntelang gewachsene Systeme, die an ihre Grenzen stoßen. In Chile stammen große Teile des Wassers für Städte und Felder aus Schmelzwasser – eine Quelle, die versiegt.
Pellicciotti mahnt: „Wir müssen flexibel genug sein, um Situationen zu bewältigen, in denen Gletscher nicht mehr helfen können.“ Auch Europa brauche mehr Speicher, Rückhaltebecken und klare Prioritäten, um auf künftige Engpässe vorbereitet zu sein.
In den Anden sind viele kleinere Gletscher bereits verschwunden, zurück bleiben Geröll und Staub. Die großen Eisfelder existieren noch, doch sie ziehen sich immer schneller zurück.
Kurz zusammengefasst:
- Gletscher sind Wasserspeicher: In Chiles Megadürre floss lange genug Wasser, weil die Gletscher stärker schmolzen – dabei verloren sie spürbar Eis.
- Eine Studie zeigt: Bis 2100 verlieren die Anden-Gletscher je nach Erwärmung etwa 55 bis 78 Prozent ihres Volumens; dadurch gibt es künftig weniger Schmelzwasser, besonders im Sommer.
- Ein Grund ist der Albedo-Effekt: Wenn weniger Schnee fällt, wird die Oberfläche dunkler, nimmt mehr Sonnenwärme auf und schmilzt schneller – das macht Regionen stärker abhängig von Regen und Schnee statt vom „Gletscher-Puffer“.
Übrigens: Wälder mit hoher Artenvielfalt überstehen Dürre besser. Bäume mit unterschiedlichen Wasserstrategien schützen sich gegenseitig vor dem Vertrocknen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Álvaro Ayala
