Stammzellen lassen Blinde wieder sehen – Durchbruch bei Makuladegeneration
Forscher haben erstmals gezeigt, dass Stammzellen aus Spenderaugen Menschen mit Makuladegeneration helfen können, wieder besser zu sehen.
Stammzellen aus Spenderaugen könnten Menschen mit fortgeschrittener Makuladegeneration helfen, verlorenes Sehvermögen zurückzugewinnen. © Pexels
Es ist eine der häufigsten Ursachen für Erblindung im Alter: die sogenannte Makuladegeneration. Millionen ältere Menschen verlieren nach und nach ihre Sehkraft – erst verschwimmen Buchstaben, dann Gesichter, schließlich bleibt nur noch der äußere Bildrand sichtbar. Heilung schien bisher ausgeschlossen.
Doch Wissenschaftler der University of Michigan melden nun Erstaunliches: Bei einer klinischen Studie konnten Patienten, die fast nichts mehr sahen, nach einer Behandlung mit Stammzellen plötzlich wieder Zeilen auf der Lesetafel erkennen.
Hoffnung für Menschen mit fortgeschrittener Makuladegeneration
Die Ergebnisse stammen aus einer in Cell Stem Cell veröffentlichten Studie. Sechs Patienten mit fortgeschrittener trockener Makuladegeneration erhielten Stammzell-Transplantate in das stärker geschädigte Auge. Dabei injizierten die Ärzte 50.000 Zellen unter die Netzhaut – also genau dorthin, wo bei dieser Krankheit das sogenannte retinale Pigmentepithel zerstört wird. Diese Zellschicht ist entscheidend für das scharfe Sehen.
Die Stammzellen stammen aus gespendetem Augen-Gewebe, nicht aus Embryonen. Sie sind auf eine einzige Aufgabe spezialisiert: Sie können sich ausschließlich in die Zellen verwandeln, die bei der Krankheit absterben. Dadurch entfällt das Risiko, dass sie unkontrolliert wachsen oder Tumore bilden.
Wie Stammzellen Makuladegeneration stoppen könnten
Das Prinzip klingt einfach, ist aber technisch hochkomplex: Die Ärzte schleusen die Stammzellen mit einer feinen Kanüle direkt unter die Netzhaut. Dort sollen sie die abgestorbenen Zellen ersetzen und wieder mit den Sehzellen darüber kommunizieren. Ziel ist, dass sie Lichtreize erneut in elektrische Signale umwandeln – also die Funktion der ursprünglichen Zellen übernehmen.
In Tierversuchen hatte sich gezeigt, dass diese Zellen erstaunlich gut anwachsen können. In der aktuellen Studie blieb das transplantierte Zellmaterial stabil, ohne Entzündungen oder Abstoßungsreaktionen. „Wir waren überrascht von der Stärke des Sehzuwachses bei den am schwersten betroffenen Patienten,“ sagte Studienleiter Rajesh C. Rao von der University of Michigan. „Diese Art von Verbesserung haben wir in dieser Patientengruppe bisher noch nie gesehen.“
Deutliche Verbesserungen auf der Lesetafel
Die Wirkung war messbar: Drei der sechs Teilnehmer, deren Sehvermögen zuvor zwischen 20/200 und 20/800 lag – also kaum noch alltagstauglich –, konnten nach einem Jahr 21 Buchstaben mehr auf der standardisierten Sehtafel lesen. Zum Vergleich: Der natürliche Verlauf der Krankheit führt normalerweise zu einem weiteren Verlust der Sehkraft.
Die übrigen drei Patienten, deren Sehvermögen etwas besser war, konnten nach sechs Monaten immerhin drei bis vier Buchstaben mehr lesen. Auch das gilt in diesem Stadium als medizinisch relevant.

Sicherheit geht vor
Noch handelt es sich um eine Frühphase der klinischen Prüfung. Vorrang hatte, zu prüfen, ob die Methode sicher ist. Das Ergebnis: Keine schwerwiegenden Nebenwirkungen. Weder Entzündungen noch Tumorwachstum traten auf. Nur kleinere Reizungen oder Blutergüsse am Auge, wie sie nach einer Operation vorkommen können, wurden beobachtet und heilten ab.
„Die Sicherheitsergebnisse waren sehr ermutigend. Der nächste Schritt ist, herauszufinden, wie stark der Nutzen bei größeren Gruppen und höheren Dosen tatsächlich ist“, so Rao.
Was diese Stammzellen besonders macht
Bisherige Ansätze setzten meist auf pluripotente Stammzellen, die in viele Zelltypen übergehen können – aber auch ein Risiko für unkontrolliertes Wachstum bergen. Das Team aus Michigan nutzt dagegen erwachsene retinale Pigmentepithel-Stammzellen (RPE), gewonnen aus Spenderaugen. Diese Zellen teilen sich nur begrenzt und bleiben fest auf ihren Zelltyp festgelegt – ein entscheidender Sicherheitsvorteil gegenüber früheren Verfahren.
Das unterscheidet sie von embryonalen Stammzellen, die ethisch umstritten sind. Mit dieser Methode wollen die Forscher zeigen, dass sich hoch spezialisierte Spenderzellen sicher in bestehende Zellschichten integrieren lassen.
Neue Perspektive für Millionen Betroffene
Allein in Deutschland leiden Schätzungen zufolge rund 7 Millionen Menschen an einer Form der altersbedingten Makuladegeneration. Etwa 90 Prozent von ihnen an der trockenen Variante, die besonders schwer zu behandeln ist. Medikamente können den Verlauf zwar verlangsamen, die verlorene Sehkraft aber nicht zurückbringen.
Der aktuelle Ansatz könnte das ändern – zumindest für einen Teil der Patienten. Sollte sich der Erfolg bestätigen, wäre dies die erste Therapie, die nicht nur stoppt, sondern verlorenes Sehen teilweise wiederherstellt.
Erste Etappe: kleine Gruppe, große Wirkung
Die Forscher sprechen von einem Zwischenschritt auf dem Weg zu einer möglichen Standardtherapie. Aktuell werden zwölf weitere Probanden mit höheren Dosen – 150.000 und 250.000 Zellen – behandelt. Ziel ist, herauszufinden, ob sich der Effekt verstärken lässt und wie lange die transplantierten Zellen aktiv bleiben.
Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass das Immunsystem die Zellen akzeptiert. Nach sechs Monaten wurde die Immunsuppression abgesetzt – ohne dass es zu Entzündungen kam. Das spricht dafür, dass das Auge, wie schon länger vermutet, eine natürliche Immun-Toleranz gegenüber solchen Eingriffen besitzt.
Kurz zusammengefasst:
- Eine Studie der University of Michigan zeigt, dass erwachsene retinale Pigmentepithel-Stammzellen (RPE) aus Spenderaugen verlorene Sehzellen bei trockener Makuladegeneration ersetzen können.
- Patienten mit stark eingeschränktem Sehvermögen konnten nach einem Jahr im Schnitt 21 Buchstaben mehr auf der Sehtafel lesen – ohne schwerwiegende Nebenwirkungen.
- Die Methode gilt als sicher, ethisch unbedenklich und eröffnet erstmals die Möglichkeit, bei dieser bislang unheilbaren Augenkrankheit verlorenes Sehen teilweise zurückzubringen.
Übrigens: Auch jenseits der Stammzellforschung gibt es Hoffnung für Millionen Betroffene. Ein winziges Implantat aus Kalifornien ermöglicht Menschen mit fortgeschrittener Makuladegeneration, wieder Buchstaben und Gesichter zu erkennen – mehr dazu in unserem Artikel.
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