Wissenschaftler wecken uraltes Gen – und könnten Gicht und Fettleber damit stoppen

Mit der CRISPR-Genschere reaktivieren Forscher ein verlorenes Gen, das Harnsäure abbaut – ein möglicher Durchbruch gegen Gicht.

Forscher wecken uraltes Gen – Gentherapie könnte Gicht stoppen

Im Labor gelang es Forschern, mit der CRISPR-Genschere ein uraltes Gen zu reaktivieren: Uricase baut Harnsäure ab und könnte Gicht künftig dauerhaft verhindern. © Unsplash

Ein zu hoher Harnsäurespiegel im Blut gilt als unterschätztes Gesundheitsrisiko. Er verursacht nicht nur Gicht, sondern steht auch mit Fettleber, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung. Lange glaubte man, der Körper könne Harnsäure schlicht nicht ausreichend abbauen – ein vermeintlicher Konstruktionsfehler der Natur. Eine neue Studie der Georgia State University legt nun nahe, dass dahinter eine evolutionäre Anpassung steckt – und dass sich dieser Mechanismus vielleicht rückgängig machen lässt.

Denn Menschen haben vor Millionen Jahren ein Enzym verloren, das diese Aufgabe übernahm. Uricase heißt es – und seine Wiederbelebung könnte das Verständnis von Stoffwechselkrankheiten grundlegend verändern.

Warum der Mensch sein Harnsäure-Gen verlor

Vor rund 25 Millionen Jahren verschwand das Uricase-Gen aus der Erbsubstanz unserer frühen Vorfahren. Damals war das kein Nachteil, sondern ein cleverer Trick der Natur: Ohne das Enzym stieg der Harnsäurespiegel, und der Körper konnte Fruchtzucker effizienter in Fett umwandeln. In einer Welt, in der Nahrung knapp war, war das ein Überlebensvorteil.

Heute jedoch hat sich diese Anpassung gegen uns gewendet. In Zeiten von Zuckerüberschuss und kalorienreichem Essen bedeutet mehr Harnsäure vor allem eines: Das Risiko für Gicht, Fettleber und Herzprobleme steigt. Studien zeigen, dass erhöhte Harnsäurewerte bei vielen Menschen so gefährlich sind wie ein zu hoher Cholesterinspiegel.

Forscher testen Uricase im Labor

Ein Team um Eric Gaucher und Lais de Lima Balico wollte wissen, was passiert, wenn das verlorene Gen wieder aktiviert wird. Mit der modernen Genschere CRISPR-Cas9 bauten sie eine funktionierende Version des uralten Uricase-Gens in menschliche Leberzellen ein.

Das Ergebnis war überraschend deutlich: Die Zellen begannen, Harnsäure abzubauen – und zwar zuverlässig. Gleichzeitig stoppten sie die Bildung von Fett, sobald sie Fruchtzucker ausgesetzt waren. „Wenn die Zellen das Enzym Uricase bilden, steigt die Harnsäure nicht an – und auch Fett kann sich nicht mehr einlagern, selbst wenn Fruchtzucker vorhanden ist“, schreiben die Forscher in ihrer Studie.

Die Wissenschaftler setzten ihre veränderten Leberzellen im Experiment extrem hohen Harnsäurewerten aus. Werte in dieser Höhe würden beim Menschen akute und sehr schmerzhafte Gichtanfälle auslösen. In den behandelten Zellen sank die Harnsäure trotzdem wieder auf den Normalbereich, weil das reaktivierte Uricase-Gen sie sofort abbauen konnte.

Harnsäure stört den Energiestoffwechsel

Die Mechanismen dahinter sind komplex, aber für Betroffene relevant. Harnsäure blockiert ein Enzym namens AMPK, das den Energiehaushalt der Zellen reguliert. Wird es gehemmt, lagern sich Fette an, während die Energieproduktion sinkt. In den Zellen mit aktivem Uricase blieb dieser Prozess stabil: Sie produzierten mehr ATP, also Energie, und weniger Fett.

Das deutet darauf hin, dass der Verlust des Uricase-Gens den Stoffwechsel über Millionen Jahre verändert hat – und dass sein Fehlen heute zu den klassischen Wohlstandserkrankungen beiträgt.

Gentherapie senkt Harnsäure – so lief das Experiment im Labor

Die Forscher prüften ihre Methode in kleinen, im Labor gezüchteten Lebermodellen, die den Aufbau eines echten Organs nachahmen. Dort funktionierte das neu eingesetzte Gen genauso zuverlässig wie in lebenden Zellen. Das Enzym gelangte genau an den richtigen Ort – in winzige Zellräume, in denen auch bei Tieren die Harnsäure abgebaut wird.

Um das Erbgut nicht zu beschädigen, setzten die Wissenschaftler das Gen an eine Art „sicheren Parkplatz“ im DNA-Strang. „Menschen sind anfällig, weil sie kein funktionsfähiges Uricase-Enzym mehr besitzen“, erklärt Gaucher. Das Ziel sei, dem Körper den natürlichen Schutzmechanismus zurückzugeben, den er durch die Evolution einst verloren hat.

Warum ein uraltes Gen moderne Krankheiten erklärt

Das Forschungsteam prüfte auch die evolutionäre Bedeutung. Der Verlust von Uricase fiel in die Zeit, als frühe Affenarten ihre Ernährungsweise änderten und mehr Früchte fraßen. Der Körper lernte, Zucker effizienter in Fett umzuwandeln – wichtig für das Überleben in Zeiten von Hunger.

Heute wirkt dieser Mechanismus wie eine Fehlprogrammierung: Fruchtzucker wird in Fett verwandelt, obwohl kein Mangel droht. Das Ergebnis sind steigende Raten von Übergewicht, Fettleber und Gicht – Krankheiten, die allesamt mit hohen Harnsäurewerten beginnen.

Typische Folgen erhöhter Harnsäure:

  • Gichtanfälle durch Kristallbildung in Gelenken
  • Fettleber durch gestörten Fettstoffwechsel
  • Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Risiken
  • Höheres Risiko für Nierenschäden

Neue Gentherapie senkt Harnsäure – doch offene Fragen bleiben

Die Studie aus Atlanta zeigt einen möglichen neuen Weg: Das verloren gegangene Uricase-Gen könnte gezielt in die Leber zurückgebracht werden. So ließen sich die Harnsäurewerte vielleicht dauerhaft stabil halten. „Eine Gentherapie, die ein funktionsfähiges Uricase-Gen in Leberzellen einsetzt, könnte eine echte Alternative zu bestehenden Medikamenten sein“, schreiben die Autoren.

Künftige Behandlungen könnten den Bauplan des Enzyms mithilfe winziger Fettpartikel direkt in die Leber transportieren – ähnlich wie bei mRNA-Impfstoffen. Der Vorteil: Das Enzym würde dort bleiben, wo es gebraucht wird, und nicht wie herkömmliche Präparate vom Immunsystem wieder abgebaut werden.

Bis diese Methode am Menschen getestet werden kann, sind jedoch weitere Schritte nötig. Die bisherigen Ergebnisse stammen aus Zellversuchen. Als Nächstes folgen Tierversuche, um Sicherheit und Wirksamkeit zu prüfen. Erst danach könnte eine klinische Studie am Menschen beginnen.

Kurz zusammengefasst:

  • Menschen haben vor Millionen Jahren das Enzym Uricase verloren, das Harnsäure abbaut – ein Verlust, der heute Gicht, Fettleber und Herzprobleme begünstigt.
  • Mit der CRISPR-Genschere gelang es Forschern, das alte Gen in menschliche Leberzellen einzubauen: Die Zellen senkten Harnsäure und stoppten Fetteinlagerungen.
  • Eine künftige Gentherapie könnte so dauerhaft normale Harnsäurewerte ermöglichen – ein möglicher Durchbruch bei der Behandlung von Stoffwechselkrankheiten.

Übrigens: Auch beim Gedächtnis spielt die Genetik eine größere Rolle, als lange gedacht. Forscher der Virginia Tech konnten zeigen, dass gezielte Eingriffe alte Nervenzellen wieder lernen lassen – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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