Fast jeder zweite Strand könnte bis 2100 verschwinden – Forscher warnen vor Küstenkollaps

Steigender Meeresspiegel und Küstenausbau beschleunigen weltweit die Stranderosion – bis 2100 könnten fast 50 Prozent verschwinden.

Fast jeder zweite Strand könnte bis 2100 verschwinden

Der Ipanema-Strand in Rio de Janeiro: Zwischen Hochhäusern und Brandung zeigt sich, wie dicht bebaut viele Küsten inzwischen sind – und wie wenig Raum dem Meer bleibt. © Pexels

Was auf Karten wie ein schmaler Sandstreifen aussieht, ist in Wirklichkeit ein komplexes System: Der Strand beginnt nicht erst dort, wo Handtücher liegen, und endet nicht an der Düne. Er reicht vom Meeresboden bis weit ins Landesinnere, wo Wind und Pflanzen den Sand zu Hügeln auftürmen. Dieses Zusammenspiel aus Wellen, Strömungen und Dünen wirkt wie ein natürlicher Schutzschild – es nimmt die Wucht der Brandung auf und verteilt ihre Energie, bevor sie Häuser oder Straßen erreicht.

Doch dieser Puffer verliert an Kraft. Der steigende Meeresspiegel, touristische Nutzung und Bebauung drängen die Strände immer weiter zurück. Nach Einschätzung des Meeresbiologen Omar Defeo von der Universität der Republik in Uruguay könnten bis zum Ende dieses Jahrhunderts fast 50 Prozent aller Strände weltweit verschwinden. Diese Warnung äußerte er beim Symposium FAPESP Day Uruguay in Montevideo. Besonders betroffen seien die Küsten Südamerikas, wo urbane Zentren und natürliche Dynamik aufeinandertreffen.

Drei Zonen – ein empfindliches Gleichgewicht

Ein Strand besteht aus drei eng verbundenen Bereichen, die zusammen den „aktiven Küstensaum“ bilden:

  • Die Dünenzone oberhalb der Hochwasserlinie speichert Sand und dient als Barriere gegen Sturmfluten.
  • Die Strandzone liegt zwischen Ebbe und Flut, sie wird regelmäßig überschwemmt und getrocknet.
  • Die Unterwasserzone, auch Foreshore genannt, reicht bis dorthin, wo die Wellen brechen – dort leben die meisten Organismen.

Wind und Wellen transportieren unablässig Sand und Nährstoffe zwischen diesen Bereichen. Wenn ein Sturm aufzieht, puffern die Dünen die Energie der Brandung ab und verhindern, dass das Meer ungebremst auf bebaute Gebiete trifft. Wird dieser Bereich versiegelt oder abgetragen, gerät das gesamte System aus dem Gleichgewicht. „Wird die Düne entfernt, kann ein einziger Sturm Häuser am Meer zerstören“, warnt Defeo.

Auf dem FAPESP Day Uruguay erklärt der Meeresbiologe Omar Defeo, wie Klimawandel und Küstenausbau die Stranderosion beschleunigen und viele Strände bis 2100 gefährden.
Omar Defeo erläutert während der Ozeanografie‑Session des FAPESP Day Uruguay, warum Küsten weltweit unter Druck geraten und fast jeder zweite Strand bis 2100 wegbrechen könnte. © Karina Toledo/Agência FAPESP

Menschliche Eingriffe stören die Dynamik

Defeo war an mehreren Studien beteiligt, die von der Forschungsstiftung FAPESP gefördert wurden. Eine davon untersuchte 90 Messpunkte an 30 Stränden im brasilianischen Bundesstaat São Paulo. Das Ergebnis, veröffentlicht im Marine Pollution Bulletin:

  • Viele Strandbesucher mindern Artenvielfalt und Biomasse
  • Gebäude auf dem Sand verschärfen diesen Effekt
  • Mechanische Strandreinigung zerstört die natürliche Sedimentstruktur

„Der größte Einflussfaktor war die Zahl der Besucher“, sagt Defeo. „In städtischen Bereichen fanden wir zwar mehr Tiere, aber fast nur noch Arten, die von organischen Abfällen profitieren.“

Die Studie zeigte auch: Belastungen auf dem trockenen Sand wirken bis unter Wasser. In der flachen Küstenzone (Foreshore) fanden Forscher deutlich weniger Arten. Wo Menschen baden, reinigen oder bauen, verschwindet Leben – oft, ohne dass es jemand bemerkt.

Jeder fünfte Strand weltweit zeigt bereits massive Erosion

In einer weiteren Untersuchung analysierte Defeos Team 315 Strände weltweit. Rund 20 Prozent davon zeigen bereits starke bis extreme Erosionsraten. Besonders gefährdet sind:

  • Steil abfallende Strände, an denen die Wellen ihre Energie schlagartig entladen.
  • Intermediäre Küstenformen, die zwischen bewegter und ruhiger See liegen.

Neben Wind und Wellen spielt vor allem der Mensch eine zentrale Rolle. Küstenbebauung, Tourismus und künstliche Eingriffe beschleunigen den Verlust des Strandes – und damit den Verlust eines natürlichen Schutzwalls.

Wenn der natürliche Schutz verschwindet

Dünen sind weit mehr als Sandhaufen: Sie sind die letzte Barriere zwischen Meer und Land. Gehen sie durch Bauprojekte verloren, trifft die volle Kraft der Wellen auf Häuser, Straßen und touristische Anlagen. Küsten verlieren ihre Widerstandskraft – ökologisch und wirtschaftlich.

Die Folgen reichen weit über den Strand hinaus. Fischerei, Tourismus und Infrastruktur geraten unter Druck. Je weniger Sand bleibt, desto größer der Schaden.

Um die Erosion zu bremsen, fordern Defeo und seine Kollegen vier zentrale Maßnahmen:

  • Keine Bebauung auf Dünen und in der aktiven Strandzone
  • Verzicht auf maschinelle Reinigung
  • Küstenplanung im Einklang mit natürlichen Prozessen
  • Internationale Zusammenarbeit beim Küstenschutz

„Wir teilen diese Ressourcen“, so Defeo, „deshalb brauchen wir auch gemeinsame Lösungen.“

Kurz zusammengefasst:

  • Strände sind dynamische Systeme aus Dünen, Sand- und Unterwasserzonen, die Küsten vor Sturmfluten schützen und Lebensräume für viele Arten bieten.
  • Durch Meeresspiegelanstieg, Bebauung und Tourismus verlieren sie weltweit an Fläche und Stabilität – besonders stark in dicht besiedelten Küstenregionen.
  • Forscher warnen: Ohne Schutzmaßnahmen könnten bis 2100 fast die Hälfte aller Strände verschwinden, mit gravierenden Folgen für Natur, Wirtschaft und Menschen.

Übrigens: An Englands Küste wächst ein völlig neuer Gesteinstyp – entstanden aus Industrieabfällen, nicht aus Naturgewalten. Wie dieser „menschengemachte Stein“ Strände in harte Felsflächen verwandelt, zeigen Forscher in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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