Wie sich Kontinente von unten schälen – und Vulkane fernab der Plattengrenzen entstehen
Tief unter der Erdkruste schält sich altes Gestein Schicht für Schicht ab – ein Prozess, der neue Vulkane fernab der Plattengrenzen entstehen lässt.
Unter den Kontinenten lösen sich Gesteinsfragmente, wandern in den Ozeanmantel und liefern das Material für Ozeanvulkane fernab der Plattengrenzen. © Pexels
Kontinente gelten als fest und unverrückbar – doch im Inneren der Erde spielt sich etwas anderes ab. Neue geophysikalische Analysen zeigen, dass die Erdkruste unter unseren Füßen langsam von unten abgeschält wird. Über Millionen Jahre lösen sich Kontinentalplatten schichtweise vom Erdmantel, wodurch tief im Ozean Vulkane entstehen, die weit entfernt von Plattengrenzen liegen.
Das internationale Forschungsteam, an dem neben der University of Southampton auch deutsche Geowissenschaftler des GFZ Potsdam und der Universität Potsdam beteiligt waren, untersuchte Daten aus Regionen mit ungewöhnlich hoher vulkanischer Aktivität – fernab der bekannten Plattengrenzen. Besonders im Indischen Ozean fanden sie Hinweise darauf, dass sich Kontinente lösen, sobald die Grenzschicht zwischen Erdkruste und Mantel instabil wird.
Kontinente lösen sich von unten
Die Wissenschaftler zeigen, dass Kontinente nicht nur an der Oberfläche aufbrechen, sondern sich auch von unten Schicht für Schicht ablösen. Der Prozess spielt sich in 150 bis 200 Kilometern Tiefe ab, wo der Erdmantel beginnt, zähflüssig zu fließen.
Wenn sich Kontinente dehnen, entstehen dort starke Spannungen, die eine langsame „Mantelwelle“ auslösen – eine rollende Bewegung tief im Gestein. Diese Welle stört die Stabilität der kontinentalen Wurzeln und reißt allmählich Gesteinsmaterial los, das in den Ozeanmantel transportiert wird. Dort kann es über zig Millionen Jahre hinweg Vulkane speisen, selbst in Gebieten weitab der Plattengrenzen.
„Wir wissen seit Jahrzehnten, dass Teile des Mantels unter den Ozeanen merkwürdig ‚verunreinigt‘ aussehen – als wären dort Stücke uralter Kontinente gelandet. Aber wir konnten bislang nicht erklären, wie dieses Material dorthin gelangt“, sagt Thomas Gernon, Professor für Geowissenschaften an der University of Southampton und Leiter der Studie.
Ein neuer Mechanismus für Vulkaninseln
Die Entdeckung löst ein lange ungelöstes Rätsel: Warum weisen manche Ozeaninseln chemische Signaturen auf, die eindeutig kontinentalen Ursprungs sind, obwohl sie Tausende Kilometer von den nächsten Landmassen entfernt liegen?
Das neue Modell zeigt, dass solche Spuren auf abgeschälte Teile alter Kontinente zurückgehen, die der Mantel mit der Zeit unter die Ozeane zieht. Die Fragmente vermischen sich mit aufsteigendem Material und versorgen Vulkane mit Elementen, die sonst nur auf dem Festland vorkommen.
Der Erdmantel bleibt in Bewegung
Die Simulationen des Teams zeigen, dass die Mantelbewegung über einen großen Zeitraum nach dem Auseinanderbrechen der Kontinente weitergeht. Selbst wenn sich ein neues Ozeanbecken gebildet hat, bleibt der Untergrund aktiv.
„Wir fanden, dass der Erdmantel noch lange nach dem Auseinanderbrechen der Kontinente auf diese Vorgänge reagiert. Das System schaltet sich nicht einfach ab, wenn ein neues Ozeanbecken entsteht – der Mantel bleibt in Bewegung, organisiert sich neu und transportiert angereichertes Material weit von seinem Ursprungsort“, erklärt Sascha Brune vom GFZ Potsdam.
Diese langsame, stetige Aktivität könnte erklären, warum manche Vulkanfelder fernab tektonischer Plattengrenzen entstehen – ein Phänomen, das bisher nur schwer zu deuten war.

Spuren aus dem Indischen Ozean
Die Forscher stützen ihre Hypothese auf geochemische Analysen aus der Seamount-Provinz im Indischen Ozean – einer Kette vulkanischer Formationen, die nach dem Zerfall des Superkontinents Gondwana vor über 100 Millionen Jahren entstanden ist.
Damals stieg Magma auf, das ungewöhnlich reich an kontinentalen Elementen war – ein klares Indiz für Material, das zuvor von den Kontinentalwurzeln abgeschält wurde. Über Millionen Jahre verblasste diese chemische Signatur allmählich, als der Zustrom aus den tiefen Schichten nachließ.
Eine Erde, die sich selbst erneuert
Die Studie macht deutlich, dass die Erde kein starres Gebilde ist, sondern ein dynamisches System, das sich von innen heraus ständig verändert. Alte Kontinente verlieren allmählich ihre tiefen Wurzeln, während deren Überreste im Ozeanmantel wiederverwertet werden.
„Wir schließen Mantelplumes nicht aus“, so Gernon. „Aber diese Entdeckung weist auf einen völlig neuen Mechanismus hin, der ebenfalls die Zusammensetzung des Erdmantels formt. Mantelwellen können kontinentales Material weit in den Ozean transportieren und hinterlassen chemische Signaturen, die lange bestehen bleiben.“
Dieser unterirdische „Schälprozess“ zeigt, wie eng die großen Kreisläufe der Erde miteinander verbunden sind. Selbst Regionen, die heute stabil erscheinen, tragen noch immer die Nachwirkungen längst vergangener Kontinentalbrüche in sich.
Kurz zusammengefasst:
- Kontinente schälen sich von unten ab: Tiefe Gesteinsschichten lösen sich und speisen Vulkane weit entfernt von Plattengrenzen.
- Der Erdmantel bleibt in Bewegung: Auch nach Kontinentalbrüchen transportiert er Material über große Distanzen und erneuert die Erde.
- Die Erde recycelt sich selbst: Alte Kontinente verschwinden im Mantel und hinterlassen chemische Spuren in neuen Vulkanen.
Übrigens: Gewaltige Vulkanausbrüche haben die Erde schon einmal erst abgekühlt und später stark aufgeheizt – neue Daten zeigen erstmals, wie präzise sich diese Klimasprünge vor 66 Millionen Jahren nachzeichnen lassen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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