Mikroroboter bringen Medikamente direkt ans Ziel: Neue Hoffnung bei Schlaganfall und Krebs

Schweizer Forscher entwickeln steuerbare Mikroroboter, die Wirkstoffe direkt an Blutgerinnsel oder Tumoren bringen.

Schweizer Mikroroboter bringen Medikamente direkt ans Ziel

So klein ist der neue Mikroroboter der ETH Zürich: Die Gel-Kapsel mit Magnet- und Kontrastpartikeln ist kaum größer als ein Blutgefäß, soll aber Medikamente gezielt an Gerinnsel oder Tumoren bringen. © Luca Donati / ETH Zürich

Wenn ein Blutgefäß im Gehirn verstopft, zählt jede Minute – und trotzdem bekommt der Körper heute meist eine Medikamentenladung, die im ganzen Organismus zirkuliert. Das erhöht zwar die Chance, das Gerinnsel zu lösen, aber auch das Risiko gefährlicher Nebenwirkungen wie innerer Blutungen. Ähnlich heikel ist es bei Tumor- oder schweren Infektionstherapien: Wirkstoffe sind oft hochwirksam, treffen aber nicht nur die kranke, sondern auch viel gesunde Umgebung.

Forscher der ETH Zürich arbeiten seit Jahren an einer Alternative: winzige Mikroroboter – magnetisch gesteuerte Kapseln, die Medikamente gezielt an den benötigten Stellen freisetzen – direkt am Thrombus, an einem entzündeten Herd oder in der Nähe eines Tumors. Im Fachmagazin Science stellt das Team um den Robotik-Professor Bradley Nelson nun ein System vor, das nach eigenen Angaben „klinisch bereit“ ist und bereits unter realitätsnahen Bedingungen im Modell und in Tieren funktioniert. Damit greifen die Forscher ein Grundproblem der bisherigen Behandlung auf.

Warum die klassische Therapie an Grenzen stößt

Heute läuft die Behandlung häufig so ab: Der Wirkstoff gegen Blutgerinnsel oder Krebs wird über die Vene verabreicht, verteilt sich im gesamten Blutkreislauf – und erreicht das Zielgebiet nur in einem kleinen Bruchteil der Dosis. Um dort genug Wirkung zu erzielen, müssen Ärzte die Menge erhöhen. Das führt zu den gefürchteten Nebenwirkungen, etwa zu Blutungen im Gehirn oder Schäden an gesundem Gewebe.

Im Zentrum der Arbeit der Schweizer Experten steht eine runde Kapsel aus einem löslichen Gel. Innen liegen spezielle Eisenoxid-Nanopartikel, die auf Magnetfelder reagieren, dazu Tantal-Nanopartikel als Kontrastmittel, damit Ärzte den Weg der Kapsel unter Röntgenkontrolle verfolgen können.

Mikroroboter müssen zugleich winzig und stark sein

Die Herausforderung: Gefäße im menschlichen Gehirn sind extrem fein. Die Kapsel muss klein genug sein, um durch die feinen Gefäße zu passen. Gleichzeitig braucht sie genug magnetische Kraft, um sich gegen den Blutstrom zu behaupten. Dieses Gleichgewicht aus Größe, Magnetmaterial und Kontrastmittel hat das Team um Nelson, den Chemiker Salvador Pané und Erstautor Fabian Landers über Jahre optimiert.

In die Kapsel lassen sich verschiedene Wirkstoffe laden. In der Studie nutzte die Gruppe drei etablierte Beispiele:

  • ein Medikament, das Thromben auflöst
  • ein Antibiotikum
  • ein Tumorpräparat

Freigesetzt wird der Inhalt, indem von außen ein hochfrequentes Magnetfeld angelegt wird. Die Eisenoxidpartikel erhitzen sich leicht, die Gelhülle löst sich auf, und der Wirkstoff gelangt genau dort in die Umgebung, wo die Kapsel zum Stehen kommt.

So kommen die Kapseln an den richtigen Ort

Damit die winzigen Gebilde überhaupt in die Nähe des Problems gelangen, kombinieren die ETH-Forscher zwei Welten: klassische Kathetertechnik und elektromagnetische Navigation. Zuerst führen Ärzte einen Katheter in eine Arterie ein, ähnlich wie bei heutigen Eingriffen in der Schlaganfallmedizin. An der Spitze befindet sich ein flexibler Greifer, der die Kapsel hält und an der richtigen Stelle im Gefäßsystem freigibt.

Ab dort übernehmen Magnetfelder. Das Besondere: Das Navigationssystem im OP basiert auf einem klinisch einsetzbaren Elektromagneten-Setup und kombiniert drei Steuerungsmodi:

  • „Rollen“ an der Gefäßwand: Ein rotierendes Magnetfeld lässt die Kapsel wie ein Rad an der Innenwand entlanglaufen – mit rund vier Millimetern pro Sekunde.
  • Gezogener Transport: Ein Magnetfeld-Gradient sorgt dafür, dass die Kapsel immer dorthin wandert, wo das Feld am stärksten ist. So kann sie sogar gegen den Blutstrom arbeiten, bei Fließgeschwindigkeiten von mehr als 20 Zentimetern pro Sekunde.
  • Gezielte Verzweigungen: An Gabelungen der Gefäße wird das Feld so gesetzt, dass die Kapsel in den gewünschten Seitenast „mitgenommen“ wird.

In Kombination entsteht ein fein steuerbares System, das nach Angaben der Autoren in über 95 Prozent der Versuche den Wirkstoff am vorgesehenen Ort freigesetzt hat – trotz realitätsnaher Strömungsbedingungen und komplexer Anatomie.

Nur noch wenige Schritt bis zur klinischen Umsetzung

Bevor ein solches System in Patienten eingesetzt werden kann, muss es sich in möglichst realistischen Situationen bewähren. Dafür hat die ETH-Gruppe Silikonmodelle gebaut, die den Gefäßverläufen von Patienten und Versuchstieren nachempfunden sind. Sie dienen nicht nur als Testfeld für neue Strategien, sondern inzwischen auch als Trainingswerkzeug in der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten, vertrieben vom Spin-off Swiss Vascular.

Ein winziger Mikroroboter erreicht das Blutgerinnsel und löst den Thrombus vollständig auf – im Gefäßmodell zeigt sich, wie präzise die Technik arbeiten kann. © ETH Zürich via YouTube

In diesen Modellen gelang es, künstliche Blutgerinnsel gezielt aufzulösen. Anschließend folgten Versuche in Schweinen. Dabei konnten die Forscher zeigen, dass alle drei Navigationsmodi im lebenden Gefäßsystem funktionieren und die Kapsel während des Eingriffs unter Röntgen durchgängig sichtbar bleibt. In einem weiteren Schritt wurden Mikroroboter in der Gehirnflüssigkeit eines Schafs gesteuert – ein besonders anspruchsvolles Umfeld mit vielen potenziellen Anwendungen.

Kurz zusammengefasst:

  • ETH-Forscher haben winzige, magnetisch steuerbare Mikroroboter entwickelt, die Medikamente in Gel-Kapseln tragen und gezielt an Blutgerinnsel oder Tumoren freisetzen.
  • Die Kapseln werden per Katheter eingesetzt und anschließend mit einem elektromagnetischen System gesteuert. In Modellen und Tierversuchen landete der Wirkstoff in über 95 Prozent der Fälle am gewünschten Ort.
  • Die Methode gilt als klinisch orientierter Ansatz, der langfristig präzisere und schonendere Behandlungen von Schlaganfällen, Infektionen und Tumoren ermöglichen könnte.

Übrigens: Während ETH-Mikroroboter Medikamente gezielt durch Blutgefäße steuern, verwandeln Münchner Nanoroboter mit Licht Stammzellen in Knochenzellen. Wie feine Kräfte Gewebe formen und neue Chancen für die regenerative Medizin eröffnen, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Luca Donati / ETH Zürich

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