Gewöhnliches Computerchip-Material leitet Strom ohne Widerstand – und wird zum Supraleiter
Erstmals wird Germanium supraleitend – ein Durchbruch mit großem Potenzial für effizientere Computerchips und Quantentechnik.
Ein Halbleiter-Wafer wie in der modernen Chipfertigung – in solchen Strukturen könnte künftig Strom völlig ohne Widerstand fließen. © Wikimedia
Strom fließt immer mit Verlust – sei es im Handyakku, im Rechenzentrum oder im Stromnetz. Ein Teil der Energie verpufft als Wärme. Ein internationales Forscherteam hat erstmals ein Material entwickelt, das in jedem Computer steckt und Strom völlig verlustfrei leiten kann. Damit rückt eine neue Generation energieeffizienter Chips und Quantencomputer in greifbare Nähe.
Das Besondere: Es geht nicht um ein exotisches Laborprodukt, sondern um Germanium – ein Halbleitermaterial, das seit Jahrzehnten in der Elektronik genutzt wird. Forscher der University of Queensland, gemeinsam mit Kollegen der New York University und ETH Zürich, haben es geschafft, dieses gewöhnliche Material in einen Supraleiter zu verwandeln. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift Nature Nanotechnology.
Wie Forscher ein vertrautes Material neu aufladen
Im Zentrum steht ein einfacher, aber entscheidender Eingriff. Die Wissenschaftler fügten dem Kristallgitter von Germanium gezielt winzige Mengen Gallium hinzu. Dadurch veränderten sie die elektronische Struktur so, dass sich Elektronen paarweise bewegen – ohne Reibung, ohne Widerstand. Diese Paare, sogenannte Cooper-Paare, ermöglichen Supraleitung.
Normalerweise führt ein solcher Eingriff zu Instabilität. Doch das Team nutzte eine besonders präzise Technik: die molekulare Strahlepitaxie. Dabei wachsen Atome Schicht für Schicht auf, wie bei einem fein kontrollierten Bauprozess im Nanometermaßstab. So konnten die Forscher die Position jedes Galliumatoms gezielt steuern.
Julian Steele von der University of Queensland erklärt: „Durch Epitaxie können wir die Struktur so genau wachsen lassen, dass wir verstehen und steuern können, wie Supraleitung in diesen Materialien entsteht.“
Germanium leitet plötzlich ohne Widerstand
Unter extrem tiefen Temperaturen – rund minus 270 Grad Celsius – verwandelte sich das so behandelte Germanium tatsächlich in einen Supraleiter. Damit ist zum ersten Mal gelungen, ein gängiges Computerchip-Material in diesen Zustand zu versetzen.
Für die Technikbranche ist das mehr als eine physikalische Kuriosität. Denn Germanium lässt sich mit bestehenden Fertigungsverfahren verarbeiten. Das bedeutet: Die Entdeckung könnte eines Tages direkt in der Chipproduktion Anwendung finden.
„Germanium ist ein Arbeitspferd der modernen Elektronik. Wenn wir zeigen, dass es unter kontrollierten Wachstumsbedingungen supraleitend wird, eröffnet das neue Wege für skalierbare Quanten- und Niedrigtemperatur-Elektronik“, sagt Peter Jacobson von der University of Queensland.
Warum dieser Fund so bedeutend ist
Die Kombination von Halbleiter und Supraleiter war lange ein Traum der Physik. Halbleiter können Informationen verarbeiten, Supraleiter dagegen Strom ohne Verlust transportieren. Beides in einem einzigen Material zu vereinen, galt bisher als nahezu unmöglich.
Mit der neuen Methode könnte das erstmals gelingen – und zwar mit einem Material, das ohnehin in Chips, Sensoren und Glasfasern steckt. Das eröffnet enorme Potenziale für künftige Technologien:
- Energieeffizienz: Kein Stromverlust bedeutet weniger Kühlung und niedrigere Betriebskosten, etwa in Rechenzentren.
- Leistung: Elektrische Signale könnten schneller fließen, wodurch Computer und Quantenprozessoren an Geschwindigkeit gewinnen.
- Miniaturisierung: Supraleitende Schaltkreise könnten kleiner und kompakter werden, ohne Überhitzung.
Präzise Forschung mit großer Wirkung
Die Forscher nutzten Röntgenanalysen, um genau zu prüfen, wie sich Gallium im Kristallgitter verteilt. Nur wenn die Struktur stabil bleibt, entsteht Supraleitung. Bei zu viel Gallium bricht das Gitter auseinander, bei zu wenig bleibt das Material ein normaler Halbleiter. Erst die exakte Dosierung brachte den Erfolg.
„Das funktioniert, weil Elemente der Gruppe IV – zu denen Germanium gehört – unter normalen Bedingungen keine Supraleiter sind“, sagt Javad Shabani von der New York University. „Aber wenn wir ihre Kristallstruktur verändern, können sich Elektronenpaare bilden, die diesen Effekt ermöglichen.“
Nächste Schritte: Supraleitung im Alltag
Noch funktioniert das Phänomen nur bei sehr tiefen Temperaturen. Doch der Schritt zeigt, dass die Grenze zwischen Halbleiter und Supraleiter nicht naturgegeben ist. Die Hoffnung der Forscher: Mit ähnlichen Verfahren ließen sich auch Materialien entwickeln, die bei höheren Temperaturen supraleitend bleiben.
Das würde nicht nur die Computertechnik verändern, sondern auch Energiesysteme. Strom könnte dann nahezu verlustfrei transportiert werden – über Leitungen, die nie warm werden.
Kurz zusammengefasst:
- Forschern der University of Queensland ist es erstmals gelungen, das Halbleitermaterial Germanium durch gezielte Gallium-Zugabe supraleitend zu machen.
- Das Material kann Strom ohne Widerstand leiten und ist zugleich mit bestehenden Herstellungsverfahren in der Chipindustrie kompatibel.
- Die Entdeckung könnte Computer, Quantenchips und Energieübertragungssysteme effizienter, leistungsfähiger und kälteresistenter machen.
Übrigens: Eine neue Analyse widerspricht der These von der „digitalen Demenz“. Jahrzehntelange Computernutzung könnte das Gehirn sogar schützen – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DrHughManning via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0
