Klimawandel könnte versehentlich eine neue Eiszeit auslösen – wegen eines Effekts im Meer

Eine Studie von Uni Bremen und UC zeigt: Der Klimawandel könnte durch Rückkopplungen langfristig in eine Eiszeit münden.

Kippt der Klimawandel? Forscher sehen Risiko für neue Eiszeit

Forscher der Universität Bremen und der University of California zeigen in einer neuen Studie, wie der Klimawandel langfristig in eine Eiszeit kippen kann. © DALL-E

Wenn die Erde sich weiter erwärmt, droht nicht nur Hitze. Forscher der Universität Bremen und der University of California zeigen in einer aktuellen Studie: Das Klimasystem kann auf lange Sicht in die entgegengesetzte Richtung kippen – in eine neue Eiszeit.

Denn die Reaktion des Lebens im Ozean auf steigende Temperaturen könnte paradoxerweise zu einer extremen Abkühlung führen. Algen, Phosphor und Sauerstoffmangel im Meer wirken dabei wie ein biologischer Schalter, der die Erde über Jahrtausende auskühlt.

Wenn Algen mehr bewirken als Gestein

Im Mittelpunkt steht der Kohlenstoffkreislauf der Erde. Lange galt die Verwitterung von Silikatgestein an Land als der wichtigste natürliche Prozess, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu binden. Regen nimmt CO2 aus der Luft auf, löst Kalzium aus Gestein und trägt beides ins Meer. Dort bilden sich Kalkschalen und Riffe, die den Kohlenstoff für Millionen Jahre im Ozeanboden einschließen.

Doch das Team um Dominik Hülse zeigt: Diese langsame „Gesteinsbremse“ ist nicht der einzige Mechanismus, der das Klima reguliert. Im Meer wirken biologische Rückkopplungen, die deutlich schneller reagieren – und das Klima langfristig in eine völlig andere Richtung lenken können.

Klimasimulation über eine Million Jahre: So verändert sich die Erde nach einem plötzlichen CO2-Ausstoß in der Atmosphäre. © Hülse & Ridgwell, Science, 2025
Klimasimulation über eine Million Jahre: So verändert sich die Erde nach einem plötzlichen CO2-Ausstoß in der Atmosphäre. © Hülse & Ridgwell, Science, 2025

Wie der Klimawandel langfristig eine neue Eiszeit begünstigen könnte

Was zunächst wie eine positive CO2-Senke klingt, hat eine folgenreiche Nebenwirkung. Wenn Algen durch den höheren Phosphorgehalt im Meer stark wachsen, binden sie Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Beim Absterben sinken sie mitsamt dem gebundenen Kohlenstoff in die Tiefe – doch ihre Zersetzung verbraucht Sauerstoff. Je mehr Sauerstoff fehlt, desto weniger kann Phosphor im Meeresboden gebunden werden. Statt sich dort abzusetzen, gelangt er wieder ins Wasser und befeuert das Algenwachstum erneut.

So entsteht eine Rückkopplung, die das Meer dauerhaft nährstoffreich hält und den CO2-Abbau immer weiter antreibt – auch dann, wenn der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre längst wieder sinkt. Das Klimasystem reagiert mit einer Überkompensation: Der Ozean bleibt eine aktive CO2-Senke, und die Erde kühlt weiter ab.

In einem Szenario mit 60 Prozent des heutigen Sauerstoffgehalts fällt die globale Durchschnittstemperatur laut Modell um mehr als sechs Grad Celsius – mehr als der Unterschied zwischen heute und der letzten Eiszeit.

„Mit der Silikatverwitterung allein konnten wir solche Extremwerte nicht simulieren“, sagt Hülse.

Dominik Hülse, Klimamodellierer an der Universität Bremen, in seinem Büro. Gemeinsam mit Andy Ridgwell (University of California) verfeinerte er ein Erdsystemmodell, um den globalen Kohlenstoffkreislauf besser zu verstehen. © MARUM, Universität Bremen / V. Diekamp
Dominik Hülse, Klimamodellierer an der Universität Bremen, in seinem Büro. Gemeinsam mit Andy Ridgwell (University of California) verfeinerte er ein Erdsystemmodell, um den globalen Kohlenstoffkreislauf besser zu verstehen. © MARUM, Universität Bremen / V. Diekamp

Biologische Effekte wirken deutlich schneller

Der klassische Ansatz zur Klimaregulation beruht auf der langsamen Verwitterung von Gestein. Die neue Studie zeigt jedoch, dass biologische Prozesse im Meer viel rascher greifen – und das Klimasystem in eine andere Richtung lenken können. Im Modell von Hülse und Ridgwell greifen mehrere Prozesse ineinander: Eine Erwärmung führt zu mehr Phosphor im Ozean, was Algenwachstum und CO2-Bindung ankurbelt. Durch den Sauerstoffmangel bei der Zersetzung dieser Algen gelangt Phosphor wieder ins Wasser – und der Kreislauf beginnt von vorn.

„Schnelle Rückkopplungen durch organische Substanz sind nicht nur entscheidend für die Erholung des Erdsystems nach Störungen, sondern können auch unerwartete Instabilitäten erzeugen“, schreiben die Autoren.

Die Vergangenheit liefert Hinweise

Der beschriebene Mechanismus könnte erklären, warum die Erde im Neoproterozoikum – vor mehr als 500 Millionen Jahren – vollständig vereist war. Die Modellrechnungen zeigen, dass Sauerstoffgehalt, Nährstoffkreisläufe und Abkühlung eng zusammenhängen.

„Unsere Ergebnisse liefern einen kausalen Zusammenhang zwischen den Sauerstoffverhältnissen in Ozean und Atmosphäre und extremen Abkühlungen“, sagt Hülse. Die Simulation berücksichtigt geochemische Prozesse wie die Verwitterung von organischem Material, die Bindung von Kohlenstoff in Sedimenten und den Einfluss von Phosphor auf den globalen Klimahaushalt.

Warum heutige Bedingungen stabiler sein könnten

So dramatisch wie in der Erdvergangenheit dürfte sich der Effekt heute nicht wiederholen. Die Atmosphäre enthält inzwischen deutlich mehr Sauerstoff als damals, wodurch die Rückkopplung abgeschwächt wird. Das verringert die Gefahr einer abrupten globalen Abkühlung.

Langfristig bleibt der Mechanismus aber Teil des Erdsystems. „Ob die nächste Eiszeit in 50, 100 oder 200 000 Jahren beginnt – spielt das eine Rolle?“, fragt Andy Ridgwell von der University of California. „Entscheidend ist, dass wir jetzt die Erwärmung begrenzen. Auf die natürliche Abkühlung zu warten, wird nicht rechtzeitig helfen.“

Kurz zusammengefasst:

  • Die Studie zeigt, dass der Klimawandel langfristig eine Eiszeit auslösen kann, wenn natürliche Rückkopplungen im Ozean zu stark wirken.
  • Steigende Temperaturen fördern Algenwachstum, senken den Sauerstoffgehalt und setzen Phosphor frei – ein Kreislauf, der die Erde über Jahrtausende stark abkühlt.
  • In den Simulationen der Universität Bremen und der University of California fiel die globale Temperatur um mehr als 6 °C – stärker als zwischen heute und der letzten Eiszeit.

Übrigens: Während die Welt in Belém über neue Klimaziele verhandelt, fällt im Amazonas weiter Wald. Brasiliens Balanceakt zwischen Klimaschutz und Ölprojekten sorgt schon vor Beginn der COP30 für Spannungen – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © DALL-E

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