Die Natur passt sich immer mehr an unseren Müll an – Forscher entdecken neue Bakterien, die Plastik im Ozean fressen

Forscher entdecken im Meer Mikroben mit Enzymen, die Kunststoff abbauen – ein Hinweis darauf, wie stark sich die Natur anpasst.

Forscher entdecken neue Bakterien, die Plastik im Ozean fressen

Bestimmte Meeresbakterien tragen ein M5-Motiv auf ihrem Enzym, mit dem sie Plastik abbauen – diese Fähigkeit breitet sich weltweit in den Ozeanen aus. © KAUST

Plastikflaschen, Folien, Mikrofasern aus Kleidung – Jahr für Jahr landen Millionen Tonnen Kunststoff in den Meeren. Über Jahrzehnte galt das Material als nahezu unzerstörbar. Doch nun zeigt sich: Selbst in der Tiefsee hat sich das Leben an diesen menschlichen Abfall angepasst. Forschern der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) ist es gelungen, eine besondere Gruppe von Mikroben zu identifizieren, die sich auf den Abbau von Plastik spezialisiert hat.

Sie fanden in ihrer Studie heraus, dass bestimmte Meeresbakterien Enzyme in sich tragen, die tatsächlich Kunststoffe wie PET zersetzen können – also genau jenen Kunststoff, aus dem Getränkeflaschen, Verpackungen und Textilfasern bestehen. Die Forschungsarbeit belegt nun, wie weit dieser Anpassungsprozess bereits fortgeschritten ist.

Wie Forscher die „Plastik-Fresser“ im Ozean fanden

Für ihre Untersuchung werteten die Wissenschaftler 415 Proben aus allen großen Ozeanen aus – von der Oberfläche bis in 4.000 Meter Tiefe. In rund 80 Prozent dieser Proben fanden sie genetische Spuren von Enzymen, die Plastik abbauen können. Besonders häufig traten sie dort auf, wo sich viel Müll sammelt, etwa in den Wirbelzonen des Atlantiks und Pazifiks.

Diese Enzyme heißen PETasen. Schon 2016 war ein ähnliches Enzym in einer Recyclinganlage in Japan entdeckt worden. Doch was jetzt bekannt wurde, geht deutlich weiter: Die Meeresvarianten unterscheiden sich in ihrer Struktur – und sie funktionieren. Das gelang dem Team nur, weil es mithilfe von Künstlicher Intelligenz jene Varianten herausfiltern konnte, die tatsächlich aktiv sind.

M5 – der molekulare Fingerabdruck der Plastikfresser

Das Besondere ist ein bestimmtes Strukturmerkmal, das die Forscher „M5-Motiv“ nennen. Es markiert jene Enzyme, die tatsächlich in der Lage sind, PET zu zersetzen. „Das M5-Motiv wirkt wie ein Fingerabdruck, der uns zeigt, wann ein Enzym wirklich Plastik abbauen kann“, erklärt Carlos Duarte, Meeresökologe und Mitautor der Studie.

Er und sein Team überprüften den Mechanismus im Labor. Nur Enzyme mit M5-Motiv konnten Plastikproben sichtbar verändern – sie hinterließen mikroskopische Rillen und setzten chemische Abbauprodukte frei. Varianten ohne dieses Motiv blieben wirkungslos.

Forscher testen Bakterien im „Mini-Meer“

Um sicherzugehen, dass die Enzyme auch in ihrer natürlichen Umgebung aktiv sind, züchteten die Forscher Bakterien aus dem Meerwasser in kleinen Mikrokosmen, eine Art „Mini-Meer“ im Labor. Dort beobachteten sie, wie sich eine bestimmte Art, Halopseudomonas, auf den Plastikfolien ansiedelte – und sie langsam abbaute.

Nach 85 Tagen hatten die Forscher einen Masseverlust von rund 2,7 Prozent gemessen. Das klingt wenig, zeigt aber: Der Prozess läuft – nur eben sehr langsam. Die Bakterien brauchen zusätzliche Nährstoffe, um effektiv zu arbeiten, da sie nicht allein vom Kunststoff leben können.

Die Natur reagiert – aber sie kommt kaum hinterher

Die Studie belegt, dass mikrobielles Leben längst auf den ständigen Eintrag von Kunststoff reagiert. Die Forscher fanden Enzymvarianten in fast allen Ozeanen – am häufigsten zwischen 1000 und 2000 Metern Tiefe. Dort, wo wenig organischer Kohlenstoff vorhanden ist, kann Plastik offenbar eine alternative Energiequelle bieten.

Doch das ist kein Grund zur Entwarnung. „Bis der Abbauprozess überhaupt in Gang kommt, hat der Kunststoff schon Schaden angerichtet – an Meereslebewesen und letztlich auch am Menschen“, warnt Duarte. Der natürliche Abbau läuft zu langsam, um die gewaltigen Mengen an Plastik auszugleichen, die jedes Jahr in die Ozeane gelangen, so die Forscher.

Wo Bakterien aktiv sind, liegt meist auch Müll

Die Kartierung der Enzyme ergab ein klares Muster: Je mehr Plastik in einer Region nachweisbar war, desto häufiger fanden sich dort Bakterien mit dem M5-Motiv. In Gebieten ohne Kunststoff lag ihre Häufigkeit zehnmal niedriger. Das gilt auch für die Enzym-Aktivität – also dafür, wie stark diese Gene tatsächlich „eingeschaltet“ waren.

Die Natur passt sich also an – aber sie reagiert auf ein Problem, das der Mensch erst geschaffen hat. Mikroben, die Plastik nutzen können, sind ein Zeichen für Resilienz – aber auch für das Ausmaß unserer Verschmutzung.

So funktioniert der Abbauprozess im Detail

  • PETase: spaltet lange Kunststoffketten in kleinere Moleküle (BHET und MHET).
  • MHETase: zerlegt diese weiter zu Grundbausteinen wie Terephthalsäure (TPA) und Ethylenglykol.
  • Beide Prozesse laufen langsam, aber messbar ab – und sie könnten technisch beschleunigt werden.

Im Labor erreichen optimierte Enzymvarianten bereits eine vielfach höhere Effizienz. Die Forscher hoffen, dass sich die Erkenntnisse aus den Ozeanen nutzen lassen, um Recyclingverfahren an Land zu verbessern.

Ein Bauplan für schnelleres Recycling

Das M5-Motiv liefert nun eine Art Bauplan, um gezielt Enzyme zu entwickeln, die PET unter realen Bedingungen zersetzen. Denn die Meeresvarianten funktionieren bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck – also unter Bedingungen, die in technischen Anlagen bisher schwer nachzuahmen sind.

„Diese Enzyme zeigen uns, welche strukturellen Merkmale unter natürlichen Bedingungen wirklich funktionieren“, sagt Duarte. Das könnte helfen, Recyclingprozesse energieärmer und effizienter zu gestalten – bis hin zu zukünftigen Anwendungen in Kläranlagen oder industriellen Behandlungsverfahren.

Kurz zusammengefasst:

  • Forscher der KAUST fanden weltweit Bakterien, die mithilfe eines speziellen Enzyms (PETase mit M5-Motiv) Plastik im Ozean abbauen können.
  • Diese Mikroben sind in rund 80 Prozent aller untersuchten Meeresproben nachweisbar, besonders dort, wo viel Kunststoffmüll vorkommt.
  • Der Abbau verläuft langsam, liefert aber wertvolle Erkenntnisse für effizienteres Recycling und zeigt, wie stark sich die Natur bereits an menschlichen Müll anpasst.

Übrigens: Während im Ozean Bakterien Plastik zersetzen, gelingt anderen Arten an Land das Gegenteil – sie bauen ein Material, das Plastik ersetzen könnte. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © KAUST

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