Unsichtbare Klimamacher: Wie Mikroben im Ozean heimlich tonnenweise Lachgas freisetzen
Winzige Meeresmikroben produzieren riesige Mengen Lachgas – ein Treibhausgas, das 300-mal schädlicher ist als CO2 und das Klima zusätzlich aufheizt.
In den sauerstoffarmen Tiefen des Pazifiks verwandeln Mikroben Nährstoffe in Lachgas. © Pexels
Die Klimadebatte konzentriert sich meist auf Kohlendioxid und Methan. Doch ein anderes Gas bleibt oft unbeachtet – dabei heizt es die Erde rund 300-mal stärker auf als CO2. Lachgas (N₂O) entsteht in den Tiefen der Ozeane und gelangt von dort in die Atmosphäre. Eine neue Studie der University of Pennsylvania zeigt, dass der Ursprung dieser Emissionen tiefer und komplexer ist als bisher gedacht. In sauerstoffarmen Regionen des Pazifiks steuern winzige Mikroben, wie viel N₂O freigesetzt wird – und damit, wie stark sich das Klima erwärmt.
Entscheidend ist demnach nicht allein die Chemie, sondern auch das Zusammenspiel der Mikroben. Schon kleine Veränderungen im Sauerstoffgehalt oder in der Nährstoffzufuhr können dieses empfindliche Gleichgewicht stören – mit Folgen für das gesamte Klimasystem.
Unsichtbarer Wettbewerb in den Tiefen des Ozeans
In den weiten, blaugrünen Wasserschichten des Ostpazifiks sinkt der O₂-Gehalt mit zunehmender Tiefe. Ab rund hundert Metern beginnt eine Zone, in der kaum noch Sauerstoff zum Atmen bleibt – weder für Fische noch für viele Mikroorganismen. Hier übernehmen spezielle Bakterien die Rolle der „letzten Verwerter“. Sie leben von Nitrat, einer stickstoffhaltigen Verbindung, und wandeln sie Schritt für Schritt in andere Stoffe um – bis am Ende Lachgas entsteht.
Xin Sun, Biologin an der University of Pennsylvania, erklärt: „Das Gas fängt rund 300-mal mehr Wärme ein als Kohlendioxid und greift zusätzlich die Ozonschicht an.“ Um herauszufinden, wie dieser Prozess abläuft, verbrachte ihr Team sechs Wochen auf einem Forschungsschiff. Sie nahmen Wasserproben in verschiedenen Tiefen und untersuchten, wie sich Sauerstoff, Nitrat und organisches Material auf die Mikroben auswirken.
Wie Mikroben auf zwei Wegen Lachgas bilden – und warum das überrascht
Die Forscher entdeckten, dass es im Meer zwei Wege gibt, über die das klimaschädliche Lachgas entsteht. Beim ersten wandeln Mikroben Nitrat in mehreren Schritten in Nitrit und schließlich in N₂O um. Beim zweiten beginnen sie direkt mit Nitrit. Dieser scheinbar einfachere Weg führt jedoch zu deutlich weniger Emissionen – der längere Prozess über Nitrat setzt wesentlich mehr Lachgas frei.
Xin Sun erklärt das mit einem einfachen Vergleich: „Die eine Bäckerei backt ihre Brötchen selbst – vom Mehl bis zum Teig. Die andere nutzt fertigen Teig aus der Umgebung. Doch weil Mehl überall verfügbar ist, hat die erste am Ende mehr Erfolg.“
Für die Umwelt ist das ein Problem. Mikroben, die Nitrat verarbeiten, produzieren nämlich deutlich mehr Lachgas – und tragen damit stärker zur Erderwärmung bei.

Sauerstoff wirkt unberechenbar
Lange gingen Klimamodelle davon aus, dass Sauerstoff wie ein „Dimmer“ funktioniert: Je mehr Sauerstoff im Wasser, desto weniger Lachgas wird gebildet. Doch die Messungen der Forscher widersprechen dieser Vorstellung. Die Produktion sinkt nicht gleichmäßig, sondern schwankt stark. In manchen Schichten entsteht selbst bei höheren Sauerstoffwerten noch messbar viel N₂O.
„Sauerstoff wirkt nicht wie ein Schalter“, sagt Sun. „Er verändert vielmehr, wer in der Gemeinschaft das Sagen hat.“ Manchmal übernehmen Mikroben mit anderen Stoffwechselwegen, die auch bei etwas mehr Sauerstoff aktiv bleiben. Dadurch verschiebt sich das Gleichgewicht – und die Emissionen springen nach oben oder unten.
Dies erklärt, warum manche Regionen des Ozeans trotz ähnlicher Bedingungen sehr unterschiedliche Mengen Lachgas ausstoßen.
Wenn Nährstoffe zur Schlüsselfrage werden
Neben Sauerstoff spielt auch die organische Materie – also abgestorbenes oder schwebendes Material aus Phytoplankton – eine große Rolle. Sie dient den Mikroben als Energiequelle. Doch nicht jedes organische Material wirkt gleich stark.
In Experimenten zeigte sich: Frisch gebildete Partikel aus den oberen Wasserschichten, die gerade aus Algenresten bestehen, regen die Lachgasproduktion besonders an. Ältere oder stark zersetzte Stoffe hatten kaum Einfluss. Offenbar nutzen Mikroben am liebsten die „Nahrung“, die sie kennen – genau die Stoffe, die regelmäßig in ihre Zone absinken.
Damit hängt die Entstehung von Lachgas direkt mit der Produktivität der Meeresoberfläche zusammen: Je stärker Algen wachsen und absterben, desto mehr organisches Material sinkt ab – und desto größer kann die N₂O-Produktion in der Tiefe werden.
Hotspots im Meer – und ihre globale Bedeutung
In sogenannten Sauerstoffminimumzonen, etwa vor der Küste Mexikos und Mittelamerikas, summiert sich dieser Effekt. Dort entstehen große Mengen Lachgas, das über die Meeresoberfläche in die Atmosphäre entweicht. Die Ozeane sind damit eine der wichtigsten natürlichen Quellen dieses Gases – rund ein Drittel der weltweiten N₂O-Emissionen stammen von ihnen.
Die Studie zeigt, dass diese Prozesse nicht zufällig verlaufen, sondern empfindlich auf kleinste Veränderungen reagieren. Eine leichte Erwärmung, ein veränderter Nährstoffeintrag oder eine Verschiebung der Sauerstoffschicht kann die Mikrobenaktivität verändern – und damit auch die Emissionen.
Kurz zusammengefasst:
- In sauerstoffarmen Zonen der Ozeane produzieren Mikroben große Mengen Lachgas – ein Treibhausgas, das etwa 300-mal stärker wirkt als CO2.
- Entscheidend ist nicht nur Chemie, sondern auch der Wettbewerb zwischen Mikroben: Wer Nitrat nutzt, setzt deutlich mehr Lachgas frei.
- Die Studie der University of Pennsylvania verbessert Klimamodelle, weil sie zeigt, wie Sauerstoff und Nährstoffe die Gasbildung im Meer steuern.
Übrigens: Während einige Mikroben in den Tiefen des Pazifiks Lachgas freisetzen, leben andere im Meeresboden, die das Gegenteil bewirken – sie fangen Methan ab, bevor es in die Atmosphäre gelangt. Mehr dazu in unserem Artikel.
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