WHO warnt: Jede sechste bakterielle Infektion nicht behandelbar – Antibiotika versagen weltweit
Immer mehr Erreger werden resistent – laut WHO ist jede sechste bakterielle Infektion mit Antibiotika nicht mehr behandelbar.

Antibiotika galten einst als stärkste Waffe der Medizin – heute verlieren viele von ihnen ihren Schutz gegen gefährliche Infektionen. © Pexels
Antibiotika galten jahrzehntelang als Wundermittel der Medizin. Sie heilten Lungenentzündungen, verhinderten Komplikationen nach Operationen und retteten Millionen Leben. Doch ihre Wirksamkeit schwindet – weltweit und spürbar auch in Europa. Ein neuer Bericht der Weltgesundheitsorganisation zeigt, wie ernst die Lage geworden ist. Immer mehr bakterielle Infektionen sprechen nicht mehr auf Medikamente an.
Laut dem aktuellen WHO-Bericht ist mittlerweile jede sechste laborbestätigte bakterielle Infektion gegen gängige Antibiotika resistent. In einigen Regionen – etwa in Südostasien oder im östlichen Mittelmeerraum – ist es sogar jede dritte. Besonders besorgniserregend: Der Anteil resistenter Erreger steigt weiter an. Zwischen 2018 und 2023 nahmen die Resistenzen bei über 40 Prozent der beobachteten Kombinationen aus Erreger und Antibiotikum zu – im Schnitt um fünf bis 15 Prozent pro Jahr.
Wie die WHO bakterielle Infektionen bewertet – und was die Zahlen verraten
Für den Bericht wertete die WHO 23 Millionen Datensätze aus mehr als 100 Ländern aus. Untersucht wurden 22 häufig eingesetzte Antibiotika, darunter Mittel gegen Infektionen der Harnwege, des Magen-Darm-Trakts, der Blutbahn und gegen Gonorrhoe, also Tripper. Besonders alarmierend sind die Zahlen bei zwei Bakterienarten, die weltweit zu den häufigsten Erregern zählen: Escherichia coli (E. coli) und Klebsiella pneumoniae (K. pneumoniae).
Mehr als 40 Prozent der E.-coli-Stämme und über 55 Prozent der K.-pneumoniae-Proben reagieren nicht mehr auf Cephalosporine der dritten Generation – also Medikamente, die eigentlich zu den wirksamsten gehören. In afrikanischen Ländern übersteigt die Resistenz sogar 70 Prozent. Diese Bakterien können nicht nur Harnwegsinfekte verursachen, sondern auch Blutvergiftungen (Sepsis), die in Organversagen und Tod münden können.
Alltagserreger werden zum Risiko
Besonders betroffen sind Infektionen, die als harmlos galten. Laut WHO versagt das Standardmedikament Co-Trimoxazol bei mehr als der Hälfte aller Harnwegsinfektionen. Auch gegen Ciprofloxacin, eines der wichtigsten Breitbandantibiotika, sind fast 40 Prozent der E.-coli-Stämme resistent. Nur Reserveantibiotika wie Carbapeneme zeigen noch Wirkung – allerdings mit steigender Tendenz zur Resistenzbildung.
Noch problematischer ist die Situation bei Klebsiella pneumoniae. Bis zu 19 Prozent dieser Erreger sind inzwischen selbst gegen Carbapeneme resistent. Diese Mittel gelten als „letzte Waffe“ der Medizin, kommen aber immer häufiger an ihre Grenzen.
Kurz erklärt: Warum das gefährlich ist
- Wenn gängige Antibiotika nicht mehr wirken, bleiben nur wenige teure oder schwer verfügbare Medikamente übrig.
- Operationen, Transplantationen und Chemotherapien werden riskanter, weil einfache Infektionen schwer zu kontrollieren sind.
- Resistente Keime breiten sich besonders schnell in Krankenhäusern aus, wo viele Menschen geschwächt sind.
Alte Krankheiten kehren zurück
Die WHO warnt auch vor der Rückkehr von Infektionen, die längst behandelbar schienen – etwa Gonorrhoe (Tripper). Weltweit infizieren sich jedes Jahr über 80 Millionen Menschen, meist zwischen 15 und 49 Jahren. Drei Viertel der Erreger sind bereits gegen Ciprofloxacin resistent. Das Mittel gilt deshalb als praktisch wirkungslos.
Als neue Standardtherapie empfiehlt die WHO das Medikament Ceftriaxon, bei dem die Resistenzquote bislang nur bei 0,3 Prozent liegt. Doch auch hier gibt es Befürchtungen, dass sich Resistenzen entwickeln könnten. „Für Gonorrhoe gibt es Bedenken hinsichtlich der Entwicklung von nicht mehr therapierbaren Infektionen mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen“, heißt es im Bericht.
Europa steht besser da – noch
Im internationalen Vergleich ist die Situation in Europa deutlich günstiger. In Deutschland, Österreich und der Schweiz bleiben viele Antibiotika wirksam. Der Anteil von Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus (MRSA) liegt in Deutschland bei rund sieben Prozent, in Österreich bei vier und in der Schweiz bei gut vier Prozent.
Die Zahlen zeigen, dass Maßnahmen wie gezielte Antibiotikakontrolle, Hygieneprogramme und Impfungen Wirkung zeigen. So ist der Anteil von MRSA-Infektionen in den vergangenen zehn Jahren von über 15 auf unter fünf Prozent gesunken. Gleichzeitig warnen Experten, dass Carbapenem-resistente Erreger zunehmen und ihre Behandlung trotz neuer Medikamente sehr schwierig sei.
Deutschland, Österreich und Schweiz: Stabil, aber wachsam
Bei Blutinfektionen durch E. coli liegt die Resistenz gegen Cefotaxim in Deutschland bei neun Prozent, in Österreich bei acht und in der Schweiz bei rund zehn Prozent. Gegen Ciprofloxacin liegt sie in allen drei Ländern unter zwei Prozent.
Trotzdem warnen Experten, dass sich auch hier das Problem langsam verschärft. Multiresistente Keime treten zunehmend in Kliniken auf, besonders bei älteren oder geschwächten Patienten. Regelmäßige Kontrollen und ein strenger Umgang mit Antibiotika gelten als entscheidend, um diese Entwicklung zu bremsen.
WHO ruft zu Verantwortung und besserer Überwachung auf
Die WHO fordert alle Länder auf, bis 2030 verlässliche Daten zu Antibiotikaverbrauch und Resistenzen zu melden. Nur mit einem weltweiten Überwachungssystem lassen sich Trends rechtzeitig erkennen. „Antimikrobielle Resistenzen überholen den Fortschritt der modernen Medizin und bedrohen die Gesundheit von Familien weltweit“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Ein wirksamer Schutz sei nicht allein Aufgabe der Gesundheitssysteme, so Ghebreyesus. Auch Einzelpersonen können dazu beitragen:
- Antibiotika nur nach ärztlicher Verordnung einnehmen, nicht „auf Verdacht“.
- Behandlungen immer vollständig durchführen, nicht vorzeitig abbrechen.
- Hände regelmäßig waschen und Hygienemaßnahmen beachten.
- Impfungen nutzen, um Infektionen vorzubeugen.
Warum jeder betroffen ist
Die Gefahr durch resistente Bakterien betrifft nicht nur Krankenhäuser. Sie reicht von Tierhaltung über Lebensmittelproduktion bis in den privaten Alltag. Zu häufige oder falsche Verwendung von Antibiotika – etwa gegen virale Infekte – beschleunigt die Resistenzbildung. Auch in der Landwirtschaft gelangen Rückstände in die Umwelt und fördern resistente Keime.
Kurz zusammengefasst:
- Laut WHO ist weltweit bereits jede sechste bakterielle Infektion resistent gegen gängige Antibiotika, in manchen Regionen sogar jede dritte.
- Alltägliche Erreger wie E. coli oder Klebsiella pneumoniae verursachen zunehmend Infektionen, die kaum noch behandelbar sind – selbst Reserveantibiotika stoßen an Grenzen.
- Deutschland, Österreich und die Schweiz stehen noch gut da, müssen aber wachsam bleiben: Nur konsequente Hygiene, korrekter Antibiotikaeinsatz und Überwachung können Resistenzen bremsen.
Übrigens: In US-Kliniken tauchen immer häufiger Superbakterien auf, gegen die kaum noch ein Medikament hilft. Ärzte schlagen Alarm – die Zahl gefährlicher NDM-Erreger steigt rasant. Mehr dazu in unserem Artikel.
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