Rätselhafte Explosionen im Eis – Das steckt hinter den Kratern in Sibirien
Sibirien birgt ein Rätsel: Gewaltige Krater sprengen den Permafrost – ausgelöst durch explosionsartig entweichendes Tiefengas.

Ein Krater im sibirischen Permafrost: Forscher vermuten, dass aufsteigendes Erdgas aus der Tiefe die Explosion ausgelöst hat. © Morgado et al., Geophysical Research Letters , 2024
In den nördlichen Regionen Sibiriens verändert sich der Boden, der jahrtausendelang gefroren war. Immer wieder reißen dort riesige, runde Löcher auf – senkrecht, tief, von Gewalt geformt. Lange blieb unklar, was dahintersteckt: Die einen sprachen von Gasexplosionen, andere von Meteoriteneinschlägen. Nun liefert ein Forschungsteam der Universität Oslo erstmals eine plausible Erklärung. Und auch eine Antwort auf die Frage, warum das Phänomen nur an bestimmten Orten auftritt. Die rätselhaften Krater treten ausschließlich auf den Halbinseln Jamal und Gydan von Sibirien auf. Nirgendwo sonst in der Arktis sind ähnliche Strukturen bekannt.
Der Geowissenschaftler Helge Hellevang und sein Team wollten wissen, warum. Bisherige Theorien führten die Krater auf auftauende Eislinsen oder Methanhydrate im Permafrost zurück. Doch das allein reicht laut den Forschern nicht aus. „Das nötige Gasvolumen lässt sich durch Permafrostprozesse allein kaum erzeugen“, heißt es in der Studie.
Tiefe Gasströme als treibende Kraft
Die Region liegt über einer der größten Erdgaslagerstätten der Welt. Entlang geologischer Bruchlinien steigen dort Gase und Wärme aus tiefen Erdschichten auf. Trifft das heiße Gas auf gefrorenen Boden, staut es sich unter der Permafrostdecke – oft über Jahre.
Wird der Boden im Sommer weich, genügt ein winziger Riss. Dann entlädt sich der Druck explosionsartig nach oben. „Wärme und Erdgas aus tieferen Bereichen sind entscheidend, um genug Energie für die Explosion aufzubauen“, erklären die Autoren der Studie.
Hellevang und sein Team kommen zu dem Schluss, dass nicht allein Prozesse im Permafrost für die Entstehung der Krater verantwortlich sind. Vielmehr sei das unter Druck stehende, aufsteigende Methan die entscheidende Triebkraft.
Wenn der „Deckel“ reißt, wird es gefährlich
Die Wucht dieser Entladungen ist gewaltig:
- Ein einzelner Krater schleuderte bis zu 11.200 Kubikmeter Material in die Umgebung.
- Eis- und Erdblöcke flogen mit 35 Metern pro Sekunde durch die Luft.
- Der Gasdruck lag bei 25 bis 38 bar – bis zu 25-mal höher als der Atmosphärendruck.
Solche Kräfte können im gefrorenen Boden nicht allein durch Tauprozesse entstehen.
Klimawandel als zusätzlicher Risikofaktor
Hitzeperioden bringen neue, flache Seen in die Tundra. Diese beschleunigen das Tauen der oberen Schichten. Der Permafrost wird instabil. Der „Deckel“ über dem Gas verliert an Festigkeit – und reißt schneller auf.
Dadurch entweicht Methan – ein Gas, das den Treibhauseffekt rund 25-mal stärker antreibt als CO2. Im arktischen Permafrost lagern 1.700 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, ein großer Teil davon als Methan.
Globale Folgen für das Klima
Wird dieses Methan freigesetzt, beschleunigt es die globale Erwärmung. Die Krater sind deshalb kein lokales Naturphänomen. Sie stehen im Zusammenhang mit einem weltweiten Problem.
Gleichzeitig betrifft das Phänomen auch die Energieinfrastruktur. Die betroffenen Halbinseln zählen zu den wichtigsten Fördergebieten der russischen Gasindustrie. Pipelines verlaufen über tauende Böden. Anlagen stehen auf instabilem Grund.
Krater können auch technische Anlagen in Sibirien bedrohen
Entsteht ein Krater nahe einer Pipeline, drohen Lecks oder Explosionen. Auch Siedlungen könnten betroffen sein. Das macht das Phänomen nicht nur zu einer Klimafrage – sondern auch zu einem Sicherheitsrisiko.
Die Forscher aus Oslo fordern, solche Prozesse in Klimamodelle einzubeziehen. Bisher berechneten Modelle die Methanfreisetzung meist nur über die oberen Permafrostebenen. Doch das reicht offenbar nicht.
Methan aus der Tiefe – kaum vorhersehbar
Wie viel Methan künftig entweicht, hängt nicht nur von der Oberflächentemperatur ab. Auch Prozesse in mehreren Hundert Metern Tiefe spielen eine Rolle. Das erschwert langfristige Vorhersagen.
Dass solche Explosionen fast nur in Sibirien auftreten, ist kein Zufall:
- Der dortige Permafrost enthält viele Eislinsen.
- Methanhydrate treten schon ab 60 Metern Tiefe auf.
- Störungszonen im Untergrund erleichtern den Gasaufstieg.
Laut dem Forschungsteam ist es gut möglich, dass viele Krater nicht mehr erkennbar sind. Füllt sich die Mulde mit Wasser, entsteht ein See. Torf wächst darüber. Heute könnten zahlreiche der runden Tundraseen auf frühere Explosionen zurückgehen.
Kurz zusammengefasst:
- In Sibirien entstehen riesige, runde Krater im Permafrost – laut Forschern ein Ergebnis explosionsartig entweichender Gasblasen unter einer instabil gewordenen Erdoberfläche.
- Entscheidend ist die Kombination aus aufsteigendem Tiefengas, tauendem Boden und wachsender Anzahl flacher Seen, die den Permafrost zusätzlich schwächen.
- Die Folge: Methan gelangt unkontrolliert in die Atmosphäre – das befeuert die Erderwärmung und gefährdet Pipelines in einer der zentralen Gasregionen Russlands.
Übrigens: Der Permafrost droht das Klima aus dem Gleichgewicht zu bringen. Taut der Boden, könnten gewaltige Mengen Treibhausgase entweichen – und das CO2-Budget drastisch schrumpfen. Mehr dazu in unserem Artikel.