Tiefseewurm besteht zu 1 Prozent aus Arsen – und überlebt nur, indem er Gift mit Gift bekämpft

Ein Tiefseewurm zeigt einen einzigartigen Entgiftungstrick: Inmitten von Arsen und Schwefel beweist er, wie Leben selbst in tödlichen Gegenden des Ozeans möglich ist.

Tiefseewurm besteht zu 1 % aus Arsen – und überlebt mit Gifttrick

Paralvinella hessleri zählt zu den wenigen Tierarten, die in den giftigen Zonen hydrothermaler Quellen überleben können. © Wang H/PLOS Biology

Tief unten am Meeresboden, weit entfernt von Licht und Wärme, gibt es Orte, an denen kaum Leben möglich scheint. Aus heißen hydrothermalen Quellen im Westpazifik schießt überhitztes Wasser aus dem Erdinneren, durchsetzt mit hochgiftigem Arsen und Schwefelwasserstoff. Doch genau hier lebt ein unscheinbarer Tiefseewurm, der etwas Außergewöhnliches kann: Er hat eine einzigartige Form der Entgiftung entwickelt.

Forscher des Institute of Oceanology an der Chinese Academy of Sciences haben nun herausgefunden, wie er das schafft – und warum diese Entdeckung auch für uns Menschen von großer Bedeutung sein könnte. Die Ergebnisse erschienen kürzlich im Fachjournal PLOS Biology.

Ein Überlebenskünstler der Tiefsee

Messungen zeigen, dass sich im Körper von Paralvinella hessleri extrem hohe Mengen an Arsen anreichern: über 10.000 Mikrogramm pro Gramm Körpergewicht, fast ein Prozent seines Gewichts. Werte, die für jedes andere Lebewesen tödlich wären.

Doch der Tiefseewurm hat einen einzigartigen Trick: In seinen Hautzellen lagert er winzige gelbe Kügelchen ein, in denen Arsen mit Schwefelwasserstoff reagiert. So entsteht das Mineral Orpiment (As₂S₃), das deutlich weniger gefährlich ist. Auf diese Weise neutralisiert das Tier gleich zwei Gifte gleichzeitig.

Die gelben Körnchen im Gewebe von Paralvinella hessleri bestehen aus dem Mineral Orpiment und sind Teil seines besonderen Entgiftungsmechanismus. © Wang H, et al., 2025, PLOS Biology, CC-BY 4.0
Die gelben Körnchen im Gewebe von Paralvinella hessleri bestehen aus dem Mineral Orpiment und sind Teil seines besonderen Entgiftungsmechanismus. © Wang H, et al., 2025, PLOS Biology, CC-BY 4.0

Forscher entdecken einen neuen Mechanismus

Der Wurm bekämpft also Gift mit Gift: Er nutzt die toxischen Stoffe seiner Umgebung, macht sie unschädlich und schützt so seinen Stoffwechsel. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das Protein MRP (Multidrug Resistant Protein). Es transportiert Arsen in die Zellen, wo es in Orpiment eingebunden wird.

Co-Autor Hao Wang erinnert sich an die erste Expedition:

Die leuchtend gelben Würmer waren anders als alles, was ich je gesehen hatte.

Der Tiefseewurm Paralvinella hessleri fällt durch seine leuchtend gelbe Färbung auf – eine Folge seines besonderen Entgiftungsmechanismus. © Wang H, et al., 2025, PLOS Biology, CC-BY 4.0
Der Tiefseewurm Paralvinella hessleri fällt durch seine leuchtend gelbe Färbung auf – eine Folge seines besonderen Entgiftungsmechanismus. © Wang H, et al., 2025, PLOS Biology, CC-BY 4.0

Rätsel um die gelben Kügelchen

Lange war unklar, was genau diese auffälligen Granula im Gewebe des Wurms sind. „Wir waren ratlos und rätselten über die gelben Kügelchen in den Zellen, die eine auffällige Farbe und nahezu perfekte Kugelform hatten. Erst durch die Kombination aus Mikroskopie, Spektroskopie und Raman-Analyse konnten wir sie als Orpiment-Mineralien identifizieren – eine überraschende Entdeckung“, schreiben die Autoren.

Das helle Gelb des Wurms ist daher nicht nur eine optische Eigenheit, sondern das sichtbare Ergebnis seines besonderen Entgiftungsmechanismus.

Ein Mineral mit Geschichte

Orpiment, das Mineral, das der Wurm in seinem Körper bildet, hat auch eine überraschende Kulturgeschichte. Im Mittelalter gelangte es über die Seidenstraße aus Bergwerken in Persien und der Türkei nach Europa und wurde als „auripigmentum“ gehandelt. Maler nutzten es wegen seiner intensiven goldgelben Farbe für Handschriften und Fresken – trotz seiner hohen Giftigkeit. Dass ein Tiefseewurm genau dieses Mineral als Schutzstrategie produziert, fasziniert die Forscher.

Tiefseewurm bindet Arsen und zeigt neue Wege für Medizin und Umwelt

Die Fähigkeit, Arsen und Schwefelwasserstoff in ein stabiles Mineral zu verwandeln, könnte in Zukunft weitreichende Anwendungen finden:

  • Medizinisch: Neue Verfahren zur Behandlung von Menschen, die mit Arsen vergiftet sind
  • Umwelttechnisch: Biologische Methoden zur Reinigung von Wasser und Böden in Regionen mit Arsenbelastung
  • Industriell: Optimierung von Prozessen, bei denen giftige Rückstände entstehen

Hydrothermale Quellen als Schlüssel zum Verständnis

Hydrothermale Quellen zählen zu den extremsten Ökosystemen der Erde. Sie bieten keinen Zugang zu Sonnenlicht – die Organismen dort gewinnen ihre Energie aus chemischen Reaktionen. Seit Jahrtausenden haben sie Strategien entwickelt, um in einer hochgiftigen Umgebung zu bestehen.

Bei Paralvinella hessleri vermuten die Forscher, dass sein Überleben vor allem durch das Zusammenspiel von Arsen- und Schwefelstoffwechsel möglich wird. Normalerweise blockiert Schwefelwasserstoff die Atmung von Zellen. Doch der Wurm nutzt diesen Stoff, um Arsen zu binden und so doppelt zu profitieren: weniger Gift im Gewebe und ein stabiler Energiehaushalt.

Kurz zusammengefasst:

  • Der Tiefseewurm Paralvinella hessleri hat eine einzigartige Fähigkeit zur Entgiftung entwickelt: Er verwandelt giftiges Arsen und Schwefelwasserstoff in das ungefährlichere Mineral Orpiment.
  • Eine zentrale Rolle spielt das Protein MRP, das Arsen in die Zellen transportiert und so den Schutzmechanismus ermöglicht.
  • Die Entdeckung liefert neue Ansätze für die Reinigung von Böden und Wasser sowie wertvolle Hinweise für die Suche nach Leben in extremen Umgebungen.

Übrigens: Arsen im Trinkwasser bleibt oft unbemerkt – mit tödlichen Folgen für tausende Menschen jedes Jahr. Ein neu entwickelter Sensor erkennt die Gefahr in nur 3,2 Sekunden. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Wang H, et al., 2025, PLOS Biology, CC-BY 4.0

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