Schweizer Idee: „Solarjahr“ statt Militärdienst – Damit könnte Solarstrom Teil der Grundversorgung werden

Forscher haben ein Modell vorgestellt, mit dem der Schweiz in nur fünf Jahren die Energiewende gelingen könnte.

Energiewende: „Solare Grundversorgung“ in der Schweiz

Solaranlagen bauen statt Militärdienst? Dies ist Teil eines Vorschlags zur „solaren Grundversorgung“ in der Schweiz. © DALL-E

Ein Drittel der Dächer mit Solarmodulen ausstatten – laut Forschern der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) wäre das genug, um die gesamte Bevölkerung der Schweiz mit einem Basis-Budget an Solarstrom zu versorgen und so die Energiewende zu vollziehen.

Der Staat zahlt und alle profitieren – auch Mieter

Die Idee dahinter nennt sich „solare Grundversorgung“. Das Konzept stammt von Harald Desing und seinem Team aus der Empa-Abteilung „Technologie und Gesellschaft“. Es soll den sozialen Ausgleich stärken und zugleich die Energiewende in der Schweiz beschleunigen.

„Viele essenzielle Dienste wie Wasser oder Bildung gelten als Grundversorgung“, sagt Desing. „Warum nicht auch die Basisenergie für die Energiewende?“ Anders als bei bisherigen Subventionssystemen, die oft nur Hauseigentümern zugutekommen, sollen hierbei besonders Mieter und Menschen mit wenig Kapital profitieren.

Die Empa hat für die Schweiz nachgerechnet, wie viel dieses Vorhaben kosten würde:

  • Rund 58 Milliarden Franken (knapp 62 Milliarden Euro) wären nötig, um innerhalb von fünf Jahren eine öffentliche Solaranlage aufzubauen.
  • Das entspricht etwa einem Prozent des Schweizer Bruttoinlandsprodukts über diesen Zeitraum – vergleichbare Summen werden bereits in Straßen investiert.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich diese Summe bereits nach sechs bis sieben Jahren auszahlt. Der Grund: Die Schweiz gibt derzeit rund 20 Milliarden Franken (etwa 21 Milliarden Euro) jährlich für fossile Energiequellen aus – Geld, das künftig eingespart werden könnte.

21 Quadratmeter pro Kopf reichen aus, Speicher kosten extra 

Nach Berechnungen der Empa benötigt eine Person etwa 21 Quadratmeter Solarfläche, um mit 500 Watt versorgt zu werden. Das würde jedem dritten Dach im Land entsprechen, sagt Desing. Flächen entlang von Bahnlinien oder Lärmschutzwänden könnten ebenfalls genutzt werden.

Wichtig sei, keine neuen Flächen zu verbrauchen. Stattdessen soll nur bestehend bebautes Gebiet genutzt werden – so bleibt der Boden geschützt. Photovoltaik lässt sich laut Empa dezentral installieren, macht kaum Lärm und passt sich gut ins Stadtbild ein. Das Modell ist bewusst einfach gehalten und verzichtet daher auf öffentliche Stromspeicher.

„Der Bau von Speichern verteuert die Energiewende“, erklärt Desing. Daher solle Energiespeicherung künftig als Komfort gelten – wer Speicher will, müsse selbst investieren. Der Vorteil dieses Modells: Wer Stromüberschüsse produziert, kann diese als „Energieäquivalent“ verkaufen – etwa für Elektromobilität oder öffentlichen Verkehr.

Solarjahr statt Zivildienst?

Ein Engpass ist der Fachkräftemangel. Um die Schweiz innerhalb von fünf Jahren umzurüsten, wären etwa 50.000 Arbeitskräfte nötig. Doch laut Empa muss nur ein kleiner Teil davon umfassend geschult sein. Die Installation von Solarpanels lässt sich in sogenannten „Solarcamps“ in wenigen Wochen erlernen.

Desing schlägt daher ein „Solarjahr“ vor – etwa als Alternative zum Militär- oder Zivildienst. Der Großteil der Investitionen bliebe so im Land, da vor allem die Montagekosten im Inland anfallen.

Technisch sei der Aufbau machbar, so die Empa. Silizium, Hauptbestandteil der Solarzellen, ist weltweit reichlich vorhanden. Engpässe drohen eher bei Silber, Aluminium und Zinn, aber auch da ließe sich der Bedarf laut Desing reduzieren. „Weltweit befindet sich mehr Silber in Besteckschubladen, als nötig wäre, um für alle auf der Erde 500 Watt Solarstrom zur Verfügung zu stellen“, sagt er. Zudem wird an Ersatzstoffen geforscht. Auch eine Verlagerung der Produktion nach Europa hält das Forschungsteam für realistisch.

Aus Stromüberschuss wird Klimaschutz

Je größer die Solarkapazität, desto besser lässt sich auch bei schlechtem Wetter Strom gewinnen. In Phasen von Überproduktion ließe sich überschüssige Energie sogar nutzen, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Die Empa arbeitet dazu an der Initiative „Mining the Atmosphere“. Ziel ist es, historische Emissionen nicht nur zu vermeiden, sondern rückgängig zu machen. „Der Stromüberschuss könnte dazu dienen, der Atmosphäre CO2 zu entziehen und es in festen Materialien zu binden“, erklärt Desing.

Die Idee ist einfach: Strom gibt es dann, wenn die Sonne scheint – und Menschen sollen ihr Verhalten danach richten. Die Empa nennt das Konzept eine „Sonnenblumengesellschaft“. Wer sich anpasst, spart bares Geld. „Die kostenlose Energie soll nicht dazu verführen, sie zu verschwenden“, warnt Desing. Damit das Modell funktioniert, sei klar: Die Abkehr von fossilen Energieträgern muss damit fest verknüpft sein.

Kurz zusammengefasst:

  • Die solare Grundversorgung der Empa sieht vor, jedem Menschen 500 Watt Solarstrom pro Jahr bereitzustellen – kostenlos und öffentlich finanziert.
  • Für die Umsetzung in der Schweiz wären rund 58 Milliarden Franken und etwa ein Drittel der Dachflächen nötig.
  • Das Modell verzichtet auf Speicher, setzt auf bewusstes Verbrauchsverhalten und soll soziale Gerechtigkeit sowie Unabhängigkeit von fossilen Energien fördern.

Übrigens: Auch alte Satellitenantennen leisten jetzt ihren Beitrag zur Energiewende. In den Schweizer Alpen erzeugen sie als flexible Solarpanels Strom für ganze Haushalte – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © DALL-E

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