Albtraum in Wartestellung: Forscher in Oregon kämpfen gegen die Zeit – das nächste Beben könnte alles verändern
Im Pazifik vor Oregons Küste suchen Forscher nach Spuren vergangener Tsunamis, um das Risiko eines zerstörerischen Bebens zu entschlüsseln.
Im pazifischen Nordwesten ist die Zeit nicht auf der Seite der Wissenschaft. Die Cascadia-Subduktionszone, ein geologischer Albtraum direkt vor der Küste, birgt das Potenzial für ein Erdbeben von unvorstellbarer Zerstörungskraft. Hier taucht die Juan-de-Fuca-Platte unter die nordamerikanische Kontinentalplatte – mit einer Geschwindigkeit, die der Wachstumsrate von Fingernägeln entspricht. Laut Experten könnte ein solches „Megabeben“ nicht nur die Erde minutenlang erzittern lassen, sondern auch einen Tsunami auslösen, der Städte entlang der Pazifik-Küste von Oregon bis Kanada verschlingen würde. Die Schäden? Über 134 Milliarden Euro. Die Opferzahl? Schätzungsweise 13.800 Menschen, wie die Washington Post berichtet.
Das letzte große Beben dieser Zone ereignete sich im Jahr 1700. Seitdem herrscht geologische Stille – doch Forscher wissen: Es ist nicht die Frage, ob es erneut passiert, sondern wann. Um die Risiken zu verstehen, gräbt ein Team aus Wissenschaftlern in den Marschgebieten (angeschwemmte, sehr fruchtbare Böden) von Oregon nach Antworten. Ihre Werkzeuge sind keine High-Tech-Maschinen, sondern Metallbohrer und Mikroskope. Ihre Mission: Beweise sichern, bevor die nächste Katastrophe zuschlägt.
Forscher fahnden nach Tsunami-Spuren im Pazifik
Mit Gummistiefeln, Bohrern und jeder Menge Geduld kämpfen sich die Forscher durch Marschland und Morast. Ziel ihrer Expeditionen sind Sedimentschichten, die wie eine Zeitkapsel die Spuren vergangener Erdbeben bewahren. Hier suchen sie nach Sandablagerungen, die einst von Tsunamis ins Landesinnere gespült wurden – stumme Zeugen der Gewalt von 1700.
„Das war ein harter Tag für die Marschlandschaft“, sagt die Paleoseismologin Tina Dura von der Virginia Tech, während sie eine Sedimentschicht analysiert. Die Washington Post berichtet, dass Forscher wie Dura eine Art „geschichtliches Puzzle“ zusammensetzen.
Die Geister der Vergangenheit: Was Algen uns lehren können
Im Labor analysieren die Forscher die Proben aus den Marschgebieten. Diatomeen, mikroskopisch kleine Algen, liefern entscheidende Hinweise: Welche Arten lebten vor einem Beben, welche danach? Diese winzigen Organismen verraten, wie stark die Erde bei vergangenen Katastrophen absank – und wie das die Küstenlinie veränderte.
„Nach einem Beben könnten Teile der Küste plötzlich zwei Meter tiefer liegen“, erklärt Dura. In einer Region, die ohnehin vom steigenden Meeresspiegel bedroht ist, könnten solche abrupten Veränderungen verheerend sein. Städte, die heute sicher sind, könnten nach einem Beben plötzlich regelmäßig überflutet werden.
Tsunami-Gefahr im Pazifik: Was die Geschichte über kommende Gefahren verrät
Die Erkenntnisse sind beängstigend. Laut der Washington Post zeigen historische Berichte, dass das Erdbeben von 1700 nicht nur die nordamerikanische Küste traf, sondern einen Tsunami auslöste, der neun Stunden später auch Japan verwüstete. Dieser sogenannte „verwaiste Tsunami“ – ein Tsunami ohne lokales Erdbeben – wurde erst in den 1980er-Jahren als Teil des geologischen Puzzles erkannt.
Doch die Forschung steht noch am Anfang. Es fehlen umfassende Daten, um die genauen Risiken abzuschätzen. „Ich brauche mehr Proben, viel mehr“, sagt der Seismologe Diego Melgar von der Universität Oregon. Er entwickelt Modelle für tausende mögliche Erdbebenszenarien und arbeitet daran, die schwachen Punkte der Region offenzulegen.
Katastrophe vorprogrammiert: Infrastruktur in Gefahr
Die Washington Post verweist auf ein besorgniserregendes Problem: Die Infrastruktur in der Region ist kaum auf eine Katastrophe vorbereitet. Viele Küstenorte haben keine Evakuierungspläne, und einige Gebiete sind so abgeschnitten, dass eine Flucht unmöglich wäre. Lediglich ein paar Tsunami-Evakuiertürme wurden bisher errichtet – viel zu wenige, um die Küstenbewohner zu schützen.
Das könnte dich auch interessieren:
- Geheimnisvolle Sauerstoffproduktion im Pazifik entdeckt
- Droht eine neue Eiszeit? Klimawandel erhöht die Gefahr von Vulkanausbrüchen
- Afrika spaltet sich in zwei Teile – Ein neuer Ozean sprengt den Kontinent
Ein Beispiel für diese gefährliche Ignoranz ist ein Campingplatz, den Forscher in Oregon untersuchten. Menschen parken dort ihre Wohnmobile auf einer schmalen Sandbank, die nur über eine einzige Brücke erreichbar ist. Für die Camper ein idyllisches Wochenende – für die Wissenschaftler ein Albtraum in Wartestellung.
Wissenschaft und Politik kämpfen gegen die Tsunami-Gefahr an
Um die Region besser zu schützen, startete 2023 das Forschungsprojekt „CRESCENT“. Mit einem Budget von 15 Millionen US-Dollar vernetzt es Seismologen, Stadtplaner und Entscheidungsträger, um wissenschaftliche Erkenntnisse in praktische Schutzmaßnahmen umzusetzen. Laut Valerie Sahakian, eine der leitenden Forscherinnen, besteht die größte Herausforderung darin, drei Bundesstaaten und zwei Länder zu koordinieren. „Für kritische Infrastruktur wie Energiezentren und Dämme brauchen wir die besten Daten. Was wir aktuell haben, reicht nicht“, sagt sie.
Der Wettlauf gegen die Natur
Die Cascadia-Region gleicht einem Pulverfass. Wissenschaftler wie Diego Melgar sehen ihre Aufgabe darin, möglichst viele Antworten zu finden, bevor die nächste Katastrophe eintritt. Doch die Zeit läuft. Jeder neue Forschungstag im Marschland, jede neue Sedimentschicht bringt die Forscher näher an die Antworten – und an die dringend notwendige Vorbereitung auf das nächste große Beben.
Was du dir merken solltest:
- Die Cascadia-Subduktionszone vor Oregons Pazifik-Küste birgt das Potenzial für ein zerstörerisches Erdbeben mit Tsunami und Schäden in Milliardenhöhe.
- Forscher analysieren Sedimente und Algenfossilien, um das Risiko künftiger Tsunamis zu entschlüsseln und Modelle für Megabeben zu verbessern.
- Eine unzureichend vorbereitete Infrastruktur in der Pazifikregion erhöht die Gefahr, dass eine künftige Katastrophe verheerende Folgen haben wird.
Übrigens: Beim Untergang von Pompeji spielten nicht nur der Vesuvausbruch, sondern auch starke Erdbeben eine entscheidende Rolle. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Jeffhollett via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0